Des Genitivs Tod. Wie widersprüchlich ist Bastian Sicks populärwissenschaftliche Sprachkritik?


Seminararbeit, 2014

14 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1 Exemplarische Analyse von Sicks Zweifelsfällen
1.1 Kasusschwund
1.2 Anglizismen
1.3 Unregelmäßige Verben
1.4 Adjektivierung

2 Sicks Sprachkritik in der Diskussion/Kritik
2.1 Über die Notwendigkeit der inhaltlichen Kritik an Sick
2.2 Sinnhaftigkeit von Sicks Modus der Sprachkritik
2.3 Verallgemeinerung auf den allgemeinen Sprachwandel

3 Schlussbetrachtung

Bibliografie
Primärliteratur
Sekundärliteratur

Einleitung

„Denn wer sich genauer mit Sprache auseinander setzt, der gelangt sehr bald zu folgender Erkenntnis: Eine lebende Sprache lässt sich nicht auf ein immergültiges, fest zementiertes Regelwerk reduzieren. Sie ist in ständigem Wandel und passt sich veränderten Bedingungen und neuen Einflüssen an.“ (Sick 2004, 8)

Bastian Sick ist mit seiner Bücherreihe Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod und seiner Kolumne Zwiebelfisch der erfolgreichste populärwissenschaftliche Sprachkritiker unserer Zeit. Seine Beiträge, die auf gängige Fehler der deutschen Sprachverwendung aufmerksam machen, verkaufen sich millionenfach und verdeutlichen das Bedürfnis der Bevölkerung nach linguistischer Beratung und die geschürte Angst vor dem Untergang unserer standardisierten Sprache.

Dabei habe ich mir in meiner Seminararbeit unter dem Titel ‚Des Genitivs Tod. Exemplarische Kritik und Diskussion an Bastian Sicks populärwissenschaftlicher Sprachkritik‘ zwei Fragen gestellt. Zunächst möchte ich untersuchen, inwieweit auch die von Sick formulierten Verbesserungen fehlerhaft sind oder dem Dogmatismus unterliegen, dass es entweder den richtigen oder den falschen Sprachgebrauch gibt. Außerdem stellt sich im Anschluss an diese Untersuchung die Frage, ob Sicks Modus der Sprachkritik und seine Versuche, die Sprache zu konservieren, überhaupt fruchtbar sind. Dabei möchte ich zur Diskussion um Sicks Bücher und Kolumnen beitragen und Kritikpunkte zu seiner Vorgehensweise darlegen.

Die Motivation zu dieser Thematik entstand aus der Beschäftigung mit einer von Sick eröffneten Kritik an der Verwendung der Konstruktion Sinn machen im Zusammenhang unseres Seminars. Als Argument benutzt er, dass mag-, als indogermanische Wurzel von machen, mit kneten übersetzt wird. Nach dieser Begründung wäre die Formulierung Sinn machen selbstverständlich absurd, doch beachtet Sick damit nicht, dass sämtliche Konstruktionen wie gute Miene machen oder mach mir einen Kaffee dadurch ebenso unlogisch würden. Dieser Widersprüchlichkeit in Sicks Argumentation will ich nun exemplarisch intensiver in meiner Seminararbeit nachgehen und den Spiegel der Diskussion um Sicks Sprachkritik darlegen.

1 Exemplarische Analyse von Sicks Zweifelsfällen

1.1 Kasusschwund

Der Kasusschwund oder „Kasus Verschwindibus“ (Sick 2005, 64), wie Bastian Sick die Überschrift im zweiten Teil seiner Buchreihe wählt, ist ein Zweifelsfall[1], den Sick betrachtet. Das Nomen ist ein Wort mit einem festen Genus, wie ein Neutrum in das Haus, ein Femininum in die Frau oder ein Maskulinum in der Mann (vgl. Schülerduden Grammatik 2010, 131). Jedoch wird das Nomen nach dem Kasus flektiert, was im folgenden Fall, den Bastian Sick betrachtet, zur Problematik wird:

„Mit folgender Überschrift wurde die Hinrichtung eines amerikanischen Soldaten im Irak gemeldet: ‚Terroristen exekutieren US-Soldat‘. Bedauerlich war nicht nur der Inhalt der Meldung, sondern auch der Umgang mit der Grammatik. ‚Es muss US-Soldaten heißen‘, wende ich ein, ‚denn der Soldat wird in Dativ und Akkusativ zum Soldaten.‘ ‒ ‚Aber dann denken die Leser, dass mehrere Soldaten erschossen wurden‘, verteidigt sich der Textchef, ‚das wäre doch missverständlich. So ist es klarer!‘ So ist es auf jeden Fall falscher. Man muss sich schon entscheiden, ob man das Risiko eingeht, der Leser könne zwei Sekunden lang an einen Plural glauben, oder ob man ihn lieber glauben lassen will, man habe Probleme mit der deutschen Sprache.“ (Sick 2005, 64)

Zunächst hat Sick natürlich recht, wenn er sagt, dass einige maskuline Nomen im Akkusativ mit -en bzw. -n als Kasusendung flektiert werden. Der Schülerduden merkt hierzu an, dass es sich hauptsächlich um Personen- und Tierbezeichnungen sowie um Fremdwörter mit bestimmten Ableitungssuffixen handelt (vgl. Schülerduden Grammatik 2010, 157). Jedoch ist diese Regel generell und insbesondere in Sicks gewähltem Beispiel eine eher schwache grammatische Vorschrift, die an Durchsetzungskraft verliert (vgl. Meinunger 2008, 26).

Grund hierfür ist der fehlende Begleiter vor dem Nomen US-Soldat, der eine Kasusendung überflüssig macht. In der aktuellen Grammatik wird eine solche Kasusendung -en bzw. -n bei Nomen nur noch dann gesetzt, wenn ein Kasus anzeigendes Wort, wie ein Artikel, ein anderer Begleiter oder ein Adjektiv dem Nomen vorausgeht (vgl. Schülerduden Grammatik 2010, 159). Der Schülerduden sieht eine ausgeschriebene Kasusendung sogar als Fehler an und zeigt dafür einige Anwendungsbeispiele. Die in Sicks Beispiel angeblich fehlende Akkusativendung, fehlt auch in „eine Schafherde ohne Hirt“ (Schülerduden Grammatik 2010, 160) aus den Beispielen des Dudens. Mit einer vorausgegangenen Präposition schreibt man nun richtig: „eine Schafherde ohne einen Hirten“ (Schülerduden Grammatik 2010, 160). Der unbestimmte Artikel einen fordert, dass das im Akkusativ stehende Nomen Hirt nun auch eine Kasusendung trägt. Ein noch ungewöhnlicheres Beispiel liefert Meinunger, indem er sagt, dass es nach Sicks Argumentation „Kennen Sie Bauern Kruse?“ (2008, 24) heiße müsse, was aber nach der grammatischen Regel nicht nur unsauber ist, sondern auch dem allgemeinen Sprachgefühl völlig entsagt.

Somit hat der Autor des Artikels mit seiner Schlagzeile keine grammatischen Fehler begangen, wie Sick es ihm vorgeworfen hat. Der Textchef begründet seine Wahl der fehlenden Endung mit einer einfachen Sinnverfehlung der Schlagzeile. Diese logische Konsequenz lässt sich auch linguistische untermauern. Grund für den entstehenden Plural „liegt [...] wohl [...] daran, dass die Kasusendungen für maskuline Substantive, nämlich [...] die [...] Akkusativendungen -e(n), ebenfalls genuine Pluralmarker sind“ (Meinunger 2008, 25). Das bedeutet, dass diese, wenn sie an ein Substantiv im Singular angehängt werden, dieses als Substantiv im Plural erscheinen lassen können. In der Morphologie nennt man diese Mehrdeutigkeit des Derivationsmorphems auch Synkretismus (vgl. Bußmann 1990, 763). Ein ohne Begleiter stehendes Soldaten würde also aus dem Sprachgefühl eher den Plural als den Genitiv, den Dativ oder den Akkusativ vermuten lassen, was die Regel des Dudens verhindern soll und Bastian Sicks Argumentation falsifiziert.

1.2 Anglizismen

Ein weiterer Zweifelsfall von Sicks Kritik bildet seine allzu voreilige Ablehnung gegen Anglizismen, den Einfluss des Englischen auf – in unserem Fall – die deutsche Sprache. Im ersten Band seiner Buchreihe schreibt er auf Seite 147 zu diesem Thema Folgendes:

„Fremdwörter sind willkommen, wenn sie unsere Sprache bereichern; sie sind unnötig, wenn sie gleichwertige deutsche Wörter ersetzen oder verdrängen.“ (Sick 2004, 147)

Damit hat er natürlich zunächst recht auch wenn in Einzelfällen oder bestimmten pragmatischen Zusammenhängen auch ein gleichwertiges deutsches Wort nicht dieselbe lexische Präzision erfüllen kann wie ein Fremdwort. Die Frage jedoch, ob das jeweilige deutsche Wort auch tatsächlich lexisch gleichwertig ist, beantwortet Sick zu kurzsichtig. Ein Beispiel von Sick bildet das Wort downloaden als englisches Äquivalent zu herunterladen:

„Die Antwort auf die Frage, ob es downgeloadet oder gedownloadet heißen muss, lautet: Weder noch, es heißt heruntergeladen.“ (Sick 2004, 146 f.)

Doch greift Sicks Entscheidung hier unbegründet zu kurz. Zurecht kann angemerkt werden, dass herunterladen auch das Herunterladen von Umzugskisten meinen kann, wohingegen downloaden ausschließlich eine auf Computern gerichtete Tätigkeit beschreibt (vgl. Meinunger 2008, 151).[2]

Ein ähnliches Beispiel bietet das Wort Loser zu seinem scheinbaren deutschen Pendant Verlierer. Sick schreibt hierzu:

„[...] seit einiger Zeit gibt es auch den Loser, wobei nicht ganz klar ist, worin er sich vom Verlierer unterscheidet. Dass Verlieren eine Spezialität der angelsächsischen Kultur sein soll, lässt sich geschichtlich jedenfalls nicht nachweisen.“ (Sick 2006, 325)

Doch unterscheidet sich ein Loser im Gegensatz zu einem Verlierer darin, dass das Konzept des Losers eher einen dem Glück nicht gut gesonnenen Versager bezeichnet. Der Verlierer hingegen geht aus einem Wettkampf wie der Sieger klar hervor (vgl. Meinunger 2008, 153). Die Verlierer aus einem Halbfinale spielen um Platz drei doch hier kann man nur schwer von einem Loser sprechen, was dem Begriff im Deutschen einen durchaus sinnvollen Berechtigungsgrund gibt.

[...]


[1] Zur Definition, Differenzierungen und den Symptomen von Zweifelsfällen in der Linguistik, vergleiche Klein (2003).

[2] Hier sei angemerkt, dass pragmatisch gesehen auch heruntergeladen im Zusammenhang eines Gesprächs über Vorgänge im Internet nicht zu Verwirrungen führen sollte, doch ist gerade für das Internet ein eindeutiges Vokabular sinnvoll, weil auch zusammenhangslos die Thematik eines Gesprächs über das Internet klar wird.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Des Genitivs Tod. Wie widersprüchlich ist Bastian Sicks populärwissenschaftliche Sprachkritik?
Hochschule
Universität Duisburg-Essen
Note
2,0
Autor
Jahr
2014
Seiten
14
Katalognummer
V273635
ISBN (eBook)
9783656658979
ISBN (Buch)
9783656658962
Dateigröße
489 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Bastian, Sick, Genitiv, Tod, Analyse, Kritik, Diskussion, Dativ, Grammatik, Semantik, Pragmatik, Sprachwandel, Sprachkritik, Bastian Sick, Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod
Arbeit zitieren
Lukas Baumanns (Autor:in), 2014, Des Genitivs Tod. Wie widersprüchlich ist Bastian Sicks populärwissenschaftliche Sprachkritik?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/273635

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