Selbst- und Feindbild im Kriegstagebuch des Ersten Weltkrieges

Ein sozialhistorischer Vergleich zwischen Richard Dehmels "Zwischen Volk und Menschheit" und Hans Carossas "Rumänisches Tagebuch"


Hausarbeit, 2014

17 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Geist von

3. Kriegsliteratur als Sinnstifterin
3.1 Dehmel: „Zwischen Volk und Menschheit“
3.2 Hans Carossa: „Rumänisches Tagebuch“

4. Fazit

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die vorliegende Hausarbeit erfolgt im Rahmen des Moduls D6: „Geschichtliche Konstellationen der deutschen Literatur“ und des Seminars „Im Kampf um das höhere Erlebnis. Kriegstagebuch und Kriegsroman in der Weimarer Republik 1916–1931“. Als Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit dienen die beiden Kriegstagebücher „Zwischen Volk und Menschheit“ von Richard Dehmel und „Rumänisches Tagebuch“ von Hans Carossa. Vor dem Hintergrund der Propaganda-Forschung behandelt diese Arbeit die Fragestellung, wie sich das Selbst- und Fremd- bzw. Feindbild in den Tagebüchern gestaltet. Von besonderem Interesse ist die Beobachtung, wie das Kriegsgeschehen subjektiv geschildert wird und ob sich Unterschiede dabei ergeben. Es liegt die Hypothese zugrunde, dass die beiden Texte nicht nur die Kriegserlebnisse an der Front schildern, sondern auch eine Interpretation dessen bieten. Zunächst wird in Kapitel 2 ein kurzer Überblick über die Begriffsdimension des Geistes von 1914 gegeben, um dieser anschließend in den Texten nachzugehen.

2. Der Geist von 1914

„Der Geist von 1914“ ist ein Mythos, der in der deutschen Propaganda 1916-1918 eine bedeutsame Rolle spielt. Mit diesem Begriff wird beschrieben, dass die Kriegserklärung im August 1914 zu einer Einheitserfahrung in Deutschland führt. Hauptbeweggrund für diese Behauptung ist zum einen die Zustimmung der Sozialdemokraten zur Verteidigung des eigenen Reiches, obwohl sie Krieg sonst eher ablehnend gegenüberstehen: „Wir lassen in der Stunde der Gefahr das eigene Vaterland nicht im Stich“.[1] Sie geben ihre Zustimmung zum Krieg hauptsächlich wegen der einseitigen Berichterstattung durch die Regierung, welche suggeriert, dass das Land unmittelbar vor einem Angriff Russlands stehe. Zum anderen ist sicher auch die Rede des Kaisers ein Ansporn zum Glauben an die deutsche Einheit: „Ich kenne keine Parteien mehr, Ich kenne nur Deutsche.“[2] Nichtsdestotrotz wird der Mythos vor allem von konservativen Journalisten, Akademikern und Schriftstellern erfunden, da sie genau wie die Sozialdemokraten unter dem Eindruck der umfassenden Mobilisierung stehen. Sie konstruieren ein idealisiertes und einheitliches „Augusterlebnis“, obwohl das Volk die Kriegserklärung emotional tatsächlich unterschiedlich erlebt. Die Darmstädter Zeitung schreibt hierzu:

Die innere Verwandtschaft alles dessen, was deutsch ist, brach durch alle Hüllen und Häute der Standes-, Meinungs- und Parteiverschiedenheiten hindurch. Kaiser und Volk und Regierung und Staatsbürger – alle waren eins.[3]

Häufig wird argumentiert, der Erfolg Deutschlands im Krieg beruhe allein auf diesem Gemeinschaftsgefühl der Deutschen.[4]

Während der Mythos vor dem Krieg vor allem zur Mobilisierung und während des Krieges zum Aufrechterhalten des Glaubens an den Sieg genutzt wird, scheint die Propaganda nach der Niederlage erst recht vorangetrieben zu werden. Es geht den Propagandisten vor allem darum, den deutschen Geist für alle Zeit zu bewahren. Max Reiniger hierzu:

Das hervorragendste Mittel zur Weckung des Zusammengehörigkeitsgefühls und zur Bewahrung und Stärkung des gegenwärtigen Einheitsbewusstseins wird die Erinnerung an die große Zeit einheitlichen Denkens, Fühlens und Wollens sein.[5]

Die Nation soll im Mythos des Augusterlebnisses neu entstehen. Die wilhelminische Gesellschaft ist zerstört, sodass neue Werte vom Volk dankbar angenommen werden. Vondung begründet diesen Drang nach Führung damit, dass der Mensch „einen solchen Zustand der Desorientierung schwer ertragen“[6] kann. Der Mensch brauche „ein Koordinatensystem, mithilfe dessen das Unverständliche geordnet werden kann und einen Sinn erhält.“[7]

Vordergründig spendet der Glaube an den Einheits-Geist des deutschen Volkes Trost und Hoffnung, wodurch die Ideologie einer „Volksgemeinschaft“[8] entsteht. Sie stellt einen radikalen Gegenentwurf zur vorigen Staatsform dar und wird zur revolutionären Staatsvision der Arbeiterschaft. Die Politik soll sich zukünftig auf das gemeinschaftliche Interesse des Volkes konzentrieren und ein harmonisches Zusammenleben fördern.[9]

Allerdings interpretieren die unterschiedlichen politischen Strömungen den Begriff völlig unterschiedlich. Die Weimarer Republik, die am 9. November 1918 von dem Sozialdemokraten Philipp Scheidemann, ausgerufen wurde, war der erste praktische Versuch des Deutschen Reiches eine demokratische Staatsform zu errichten.[10] Während die Sozialdemokraten nach „innerer Geschlossenheit und nationaler Solidarität“[11] streben, radikalisieren die Nationalsozialisten den Begriff der Volksgemeinschaft und legen mit ihm den Grundstein für das „Dritte Reich“. Sie propagieren für ihre Ideologie des Anspruches auf eine Führungsposition Deutschlands aufgrund seiner kulturellen und wirtschaftlichen Leistungen. Das ursprünglich nach innen gerichtete familiäre Gemeinschaftsgefühl wird missbraucht als nach außen gerichteter Ausschluss alles Fremdartigen, wodurch später auch dessen Vernichtung eingeleitet wird. Vor dem Hintergrund von Sozialdarwinismus, Daseinskampf und Degenerationstheorie entwickelt sich der Begriff der „Volksgemeinschaft“ als „arische, alle Juden und Fremdvölkischen, Linken und ‚Erbkranke‘ ausschließende“[12] Einheit. Im Sinne der Rassenhygiene werden dem Begriff nun auch biologisch-rassische Kriterien, die sich in „Abstammung, Sprache und Kultur“[13] darlegen würden, hinzugezogen.

Die Ideologien der Nachkriegspropaganda sind auch in der zeitgenössischen Literatur und vor allem in deren Auswahl bzw. Kanonisierung zu erkennen. Schneider konstatiert, dass in den späten 1920er Jahren zwar etliche tausende Kriegsliteraturtitel existieren, jedoch nur ein „small canon“[14] davon auch tatsächlich in der derzeitigen Forschung berücksichtigt werden. Er spricht von einem „mainstream image“[15], das vom Krieg erzeugt wird und enorme Auswirkungen auf die politische Situation in der Weimarer Republik hat. Vor allem Nationalsozialisten missbrauchen nationalistische Texte wie „In Sturmgewittern“ von Ernst Jünger oder Walter Flex‘ „Der Wanderer zwischen beiden Welten“ für ihre Zwecke.

[...]


[1] Karl Heinrich Pohl: Die Erklärung der sozialdemokratischen Fraktion vom 4.8.1914. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 35 (1984), S. 758-775, S. 758f.

[2] Bogdan Krieger: Der Kaiser im Felde. Berlin o. J. [1916], S. 15.

[3] Jeffrey Verhey: „Der Geist von 1914“ und die Erfindung der Volksgemeinschaft. Aus dem Engl. von Jürgen Bauer und Edith Nerke. Hamburg 2011, S. 120.

[4] Ebd., S. 318.

[5] Ebd., S. 319.

[6] Klaus Vondung (Hrsg.): Kriegserlebnis. Der Erste Weltkrieg in der literarischen Gestaltung und symbolischen Deutung der Nationen. Göttingen 1980, S. 17.

[7] Ebd., S. 17.

[8] Steffen Bruendel: Die Geburt des „Volksgemeinschaft“ aus dem „Geist von 1914“. Entstehung und Wandel eines „sozialistischen“ Gesellschaftsentwurfs, in: Zeitgeschichte-online, Thema: Fronterlebenis und Nachkriegsordnung. Wirkung und Wahrnehmung des Ersten Weltkriegs, Mai 2004, http://www.zeitgeschichte-online.de/themen/die-geburt-der-volksgemeinschaft-aus-dem-geist-von-1914, S. 24.

[9] Bruendel: Volksgemeinschaft, S. 11.

[10] Vgl. Helmut M. Müller: Schlaglichter der deutschen Geschichte. Bonn 2009, S. 229.

[11] Bruendel: Volksgemeinschaft, S. 16.

[12] Hans-Ulrich Wehler: Radikalnationalismus – erklärt er das „Dritte Reich“ besser als der Nationalsozialismus? In: Echternkamp, Jörg/ Müller, Sven Oliver (Hrsg.): Die Politik der Nation: Deutscher Nationalismus in Krieg und Krisen, 1760-1960. München 2002, S. 211.

[13] Peter Walkenhorst: Nation – Volk – Rasse. Radikaler Nationalismus im Deutschen Kaiserreich 1890-1914. Göttingen 2007, S. 87.

[14] Ebd., S. 86.

[15] Ebd., S. 86.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Selbst- und Feindbild im Kriegstagebuch des Ersten Weltkrieges
Untertitel
Ein sozialhistorischer Vergleich zwischen Richard Dehmels "Zwischen Volk und Menschheit" und Hans Carossas "Rumänisches Tagebuch"
Hochschule
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn  (Philosophisches Institut)
Veranstaltung
Im Kampf um das höhere Erlebnis. Kriegstagebuch und Kriegsroman in der Weimarer Republik 1916–1931
Note
1,7
Autor
Jahr
2014
Seiten
17
Katalognummer
V273439
ISBN (eBook)
9783656658009
ISBN (Buch)
9783656657996
Dateigröße
473 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
selbst-, feindbild, kriegstagebuch, ersten, weltkrieges, vergleich, richard, dehmels, zwischen, volk, menschheit, hans, carossas, rumänisches, tagebuch
Arbeit zitieren
Bachelor of Arts Sabrina Talbot (Autor:in), 2014, Selbst- und Feindbild im Kriegstagebuch des Ersten Weltkrieges, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/273439

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