Analyse der Auseinandersetzung von Paul Feyerabend in seinem Werk "Wider den Methodenzwang" mit Karl Poppers Konzept des Falsifikationismus

Unter Zuhilfenahme historischer Fallstudien


Hausarbeit, 2010

18 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Gliederung

1. Einleitung

2. Karl Popper: Logik der Forschung
2.1 Die Falsifikation

3. Paul Feyerabend: Wider den Methodenzwang
3.1 Theoretische Annahmen und Antiregeln
3.2 Wissenschaftsgeschichtliche Fallstudien
3.3 Feyerabends methodologische Folgerung: anything goes

4. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Geschichte der Theorie über die Wissenschaft ist wohl annähernd so alt wie diese selbst. Als Ahnherr der Epistemologie gilt Aristoteles, der im Organon die zulässigen Werkzeuge der Wissenschaftler festlegte, etwa syllogistische Logik oder die Kategorienlehre. Diese basalen Arbeitsverfahren des Wissenschaftlers sollten einerseits Erkenntnisreichtum garantieren, andererseits intersubjektiv nicht nachvollziehbare Spekulationen über den Charakter der Welt eindämmen. Mit Hilfe der als universell erkannten Logik schien dies möglich. Auf diese Weise hat Aristoteles ein erstes Abgrenzungskriterium zwischen Wissenschaft und Mystik geschaffen.

Ein weiterer wichtiger Wegbereiter der modernen Wissenschaftstheorie war Francis Bacon. Als gegen Ende des 16. Jahrhundert allmählich das Vorrecht der Theologen auf Naturinterpretationen einer vorurteilsfreien, atheistischen Naturbetrachtung wich, stellte sich für Bacon die Frage, auf welchem Weg gesicherte Erkenntnisse zustande kommen können. Seine naheliegende, in ihrer umsichtigen Durchführung dennoch revolutionäre Antwort hierauf war „[…] die systematische Berücksichtigung der Erfahrung […]“[1] im Theorienbildungsprozess. Bacon war sich der Gefahr empirischer Datengewinnung wohl bewusst; so formulierte er die berühmten idola, Trugbilder, deren sich der gewissenhafte Forscher erwehren muss, indem er weitestmöglich unvoreingenommen an ein Thema herangeht, seine Vorurteile erkennt und eliminiert. Weiter basiert die Bildung von wissenschaftlichen Theorien nach Bacon auf sorgfältigen Verallgemeinerungen von Einzelbeobachtungen. Zwar sei dieser induktive Schritt von der Logik nicht gedeckt, der Forscher erhalte aber, nach genauem Abgleich möglichst vieler Singulärbefunde und unter Zuhilfenahme von effektverdeutlichenden Experimenten mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Theorie mit universell gültigem Anspruch.

Diesem empirischen Optimismus (der in den folgenden Jahrhunderten weiter-entwickelt wurde und unter der Bezeichnung Logischer Empirismus zahlreiche Theoretiker umschloss) hat Karl Popper in seinem 1934 erschienen Hauptwerk Logik der Forschung vehement widersprochen. Ausgehend von der formalen Unmöglichkeit, aus singulären Sätzen allgemeine Gesetze logisch zu folgern, schlägt Poppers erkenntnislogische Schrift einen gänzlich neuen Weg ein: denn aus der „[…] unbegründeten Antizipation, dem Einfall, der Hypothese […]“[2], also aus einer zunächst vagen Spekulation solle sich diese dann auf dem logisch- deduktiven Weg bewähren. Die Theorie bewährt sich nach Popper dadurch, dass keine ihrer Folgerungen falsifiziert werden kann, obwohl die Theorie de facto fallibel, das heißt dem Irrtum unterworfen ist. Darauf wird noch einzugehen sein.

Der nächste Meilenstein der Wissenschaftstheorie, Thomas Kuhns Werk Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, ist in den Augen Gerhard Schurz` eine Arbeit der deskriptiven Schule; während Popper mit seinem logischen Instrumentarium noch eine vorschreibende, normative Auffassung vertreten habe, sei es Kuhns Verdienst, die Wissenschaft „[…] in ihrer historischen Entwicklung und gegenwärtigen Struktur so gut wie möglich […]“[3] beschrieben zu haben. Kuhns konkrete These lautet, dass sich jede Wissenschaftsgemeinde zeitweilig konsensuell anerkannte Paradigmen, Grundlagen teilt. Diese Einigkeit firmiert nach Kuhn unter der Bezeichnung Normalwissenschaft. Erst durch gravierende Störelemente, wie neue, widersprüchliche Experimente oder theorienfremde Befunde würde dieses System der kollektiven Sicherheit ins Wanken und schließlich ins neue, gebierende Ventilieren gebracht.

1976 schließlich erscheint Wider den Methodenzwang, das wissenschaftstheoretische Hauptwerk Paul Feyerabends. Es basiert auf Kuhns deskriptiver Herangehensweise, radikalisiert jedoch einige Hauptaspekte dessen Theorie. Nichtsdestotrotz richtet sich Feyerabends Streitschrift – der polemische Eifer gegen die Logik der Forschung legt diese Gattung nahe- primär mit glühender Antipathie gegen Popper. Feyerabends Gedanken kulminieren, in fast manichäischem Widerspruch zu Popper, in der Aussage „[…] dass es keine einzige Regel gibt, so einleuchtend und erkenntnistheoretisch wohlverankert sie auch sein mag […]“[4], die der Wissenschaft tatsächlich weitergeholfen hätte.

Diese Abbreviationen der Markpunkte der Wissenschaftstheorie sollen lediglich die relevanten Streitpunkte skizzieren und einen ersten Einstieg in den Dualismus der Werke Poppers und Feyerabends liefern. Dabei darf auch der Umstand nicht aus den Augen verloren werden, dass die Protagonisten dieser Arbeit bereits mit ihren jeweiligen eröffnenden Fragestellungen auf unterschiedlichem Terrain operieren: Während Popper der (zukünftigen) wissenschaftlichen Forschung den Stempel unumstößlicher Logik aufdrücken möchte, arbeitet Feyerabend eine rein deskriptive Theorie aus, die sich auf Fallbeispiele der Geschichte stützt. Es soll geklärt werden, ob Poppers Falsifikationskriterium vorzuziehen, oder ob nicht doch Feyerabends libertäres Titelcredo der Wissenschaft gerecht wird: Anything in science goes!

2. Karl Popper: Logik der Forschung

Karl Poppers epochemachende Schrift Logik der Forschung widmet sich in den Augen von Hermann Oetjens ausschließlich der quaestio iuris, die „[…] die Frage nach dem Grunde der Möglichkeit wahrer Erkenntnis [ist,] und zwar im Hinblick auf alle Wissenschaften.“[5] Diesem fachübergreifenden Ansatz trägt Logik der Forschung insofern Rechnung, als sich ihre Argumentation im Wesentlichen nicht auf die Wissenschaftsgeschichte stützt, sondern auf rein formallogische Aspekte. Poppers Grundannahme lautet, dass der „[…] Schluss von den durch „Erfahrung“ verifizierten besonderen Aussagen auf die Theorie […] logisch unzulässig […]“[6] ist und daher als Forderung an den Forscher ad acta gelegt werden muss.[7] Daher braucht Popper ein alternatives Abgrenzungskriterium, mit dessen Hilfe sich Wissenschaft von Pseudowissenschaft scheiden lässt, und das zudem seinen eigenen hohen Ansprüchen an Allgemeingültigkeit standhält.

2.1 Die Falsifikation

Theorien über den Charakter der Welt lassen sich also aufgrund der unüberwindbaren Induktionsunsicherheit nicht über Einzelbefunde verifizieren. Selbst wenn einzelne Forscher mitunter unter Verwendung des induktiven Prinzips erfolgreich gewesen sind, also tatsächlich nur noch (beispielsweise) schwarze Raben entdeckt haben sollten, wäre das kein Garant für die zukünftige Forschung; denn nach Popper sitzen diese (zeitweilig) erfolgreichen Forscher wiederum dem Fehlschluss der Induktion auf, dass aus Einzelbetrachtungen eine beständige Theorie gefolgert werden könne. Gegen etwaige Einsprüche gegen diesen Rigorismus scheint Popper taub. Überhaupt hat Popper kein Interesse daran zu erfahren „[…] wie es vor sich geht, dass jemandem etwas Neues einfällt […]“[8]. Der Entstehungszusammenhang von wissenschaftlichen Theorien ist ihm die Sache der Psychologie, nicht der Erkenntnislogik.

Um dem „[…] Skeptizismus hinsichtlich der Möglichkeit der allgemeinen Natur-erkenntnis zu entgehen […]“[9], wie Oetjens Poppers Initialgedanken zusammenfasst, greiftLogik der Forschung bezüglich des Abgrenzungskriterium auf ein deduktives Muster zurück. So solle zwar die Erstellung einer Theorie, wie bereits erwähnt, durch gewagte und zugleich vielversprechende Hypothesen von statten gehen. Martin Carrier sieht darin den Versuch, „[…] einen bedeutenden wissenschaftlichen Durchbruch […]“[10] zu erzielen, falls die Hypothese wider Erwarten nicht versagt; dieses Moment der Irrationalität, respektive das Risiko des Scheiterns nimmt Popper in Kauf, um daran anknüpfend die Haltbarkeit dieser Theorie, dieses Systems auf logisch ableitendem Weg zu eruieren. Popper fordert nämlich, „[…] dass es die logische Form des Systems ermöglicht, dieses auf dem Wege der methodischen Nachprüfung negativ auszuzeichnen […]“[11]. Der Fokus liegt dieser Forschungsmaxime gemäß lediglich auf dem Umgang mitSatzsystemen, auf die die Regeln formaler Logik angewendet werden. Dienegative Auszeichnung, wie Popper schreibt, dient dabei dem Aussondern metaphysischer Standpunkte, deren Gehalt nicht intersubjektiv nachprüfbar ist. Systeme, die lediglich fallibel, nicht aber falsifizierbar sind, werden in Gänze aus der wissenschaftlichen Betrachtung ausgeschlossen. Der Vollständigkeit halber sei zur Asymmetriebehauptung Poppers, der zufolge Gesetzeshypothesen zwar nicht verifiziert, wohl aber falsifiziert werden können, noch gesagt, dass sie „[…] nur sehr beschränkte Gültigkeit […]“[12] besitzt. Die Asymmetrie ist eingeschränkt auf raumzeitlich unbeschränkte empirische Allhypothesen

[...]


[1] Carrier, Martin: Wissenschaftstheorie zur Einführung. 2., überarbeitete Auflage. Hamburg: Junius Verlag 2008 (= zur Einführung; Band 353). (S. 16)

[2] Popper, Karl: Logik der Forschung. 9., verbesserte Auflage. Tübingen: J.C.B. Mohr Verlag 1989 (= Die Einheit der Gesellschaftswissenschaften: Studien in den Grenzbereichen der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften; Band 4). (S. 7)

[3] Schurz, Gerhard: Einführung in die Wissenschaftstheorie. 2., durchgesehene Auflage. Darmstadt: WBG 2008. (S. 21)

[4] Feyerabend, Paul: Wider den Methodenzwang. 1. Auflage. Frankfurt am Main: Suhrkamp Taschenbuch Verlag 1986. (S. 21)

[5] Oetjens, Hermann: Sprache, Logik, Wirklichkeit: Der Zusammenhang von Theorie und Erfahrung in K. R. Poppers „Logik der Forschung“. 1. Auflage. Stuttgart: Friedrich Frommann Verlag 1975 (= problemata frommann- holzboog; Band 33). (S. 28)

[6] Popper, Karl (S. 14)

[7] Dieser Einwand war auch zu Poppers Zeiten nicht neu, aber fraglos ist er nachvollziehbar: aus der Tatsache, dass alle bisher gesehenen Raben schwarz sind, folgt nicht logisch, dass alle Raben schwarz sind. Es könnte Ausnahmen geben. Die Überprüfung sämtlicher Untersuchungsgegenstände/Raben ist in den meisten Fällen praktisch unmöglich.

[8] Popper, Karl (S. 6)

[9] Oetjens, Hermann (S. 40)

[10] Carrier, Martin (S. 42)

[11] Popper, Karl (S. 15)

[12] Schurz, Gerhard (S. 98)

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Analyse der Auseinandersetzung von Paul Feyerabend in seinem Werk "Wider den Methodenzwang" mit Karl Poppers Konzept des Falsifikationismus
Untertitel
Unter Zuhilfenahme historischer Fallstudien
Hochschule
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg  (Philosophisches Institut)
Note
1,7
Autor
Jahr
2010
Seiten
18
Katalognummer
V266689
ISBN (eBook)
9783656582366
ISBN (Buch)
9783656580799
Dateigröße
477 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
analyse, auseinandersetzung, paul, feyerabend, werk, wider, methodenzwang, karl, poppers, konzept, falsifikationismus, unter, zuhilfenahme, fallstudien
Arbeit zitieren
Max Rössner (Autor:in), 2010, Analyse der Auseinandersetzung von Paul Feyerabend in seinem Werk "Wider den Methodenzwang" mit Karl Poppers Konzept des Falsifikationismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/266689

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