Die Selbstverbrennung des Oskar Brüsewitz


Term Paper, 2008

24 Pages, Grade: 2,3


Excerpt


1. Einleitende Bemerkungen

1.1 Struktur der Arbeit

Im Folgenden werden zunächst die Hintergründe und näheren Umstände zur Tat beschrieben. Daran schließt die Darstellung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche in der DDR an. Im weiteren Verlauf sollen die unterschiedlichen Reaktionen von Staat und Kirche der DDR aufgezeigt werden. Es folgt die Darstellung des Zusammenspiels von Staat und Kirche bezüglich der Beisetzung Brüsewitz'. In Kapitel 9 befasse ich mich mit der Gründungsidee des Brüsewitz-Zentrums und den damit zusammenhängenden Problemen. Daran schließt das Fazit an. Abschließen möchte ich meine Hausarbeit mit der Frage, ob die Definition des Begriffs „Märtyrer“ auf Oskar Brüsewitz zutrifft.

1.2 Erläuterung der Primärliteratur

Für meine Hausarbeit habe ich als Primärliteratur „Das Fanal“ von Helmut Müller-Enbergs gewählt. Bemerkenswert erscheint mir an diesem Werk vor allen Dingen die Tatsache, dass es von einem Historiker, einem Politologen und einer Kirchenexpertin verfasst worden ist und den Fall Oskar Brüsewitz‘ deshalb aus drei verschiedenen wissenschaftlichen Blickwinkeln betrachtet.

Darüber hinaus haben die Autoren von „Das Fanal“ alle für sie zugänglichen Dokumente, so beispielsweise Akten des Ministeriums für Staatssicherheit, der SED-Bezirksleitung Halle und Magdeburg sowie der Bezirksverwaltung, des Brüsewitz-Zentrums und des Evangelischen Zentralarchivs in Berlin, zusammengetragen. Somit liegen mit diesem Werk Kopien von Originaldokumenten vor, die unter anderem von Augen- bzw. Zeitzeugen angefertigt wurden was ich unter quellenkritischen Gesichtspunkten für gut halte. Die mir in „Das Fanal“ vorliegenden Dokumente und deren Verfasser stehen somit dem örtlichen und zeitlichen Geschehen um den Fall Brüsewitz sehr nahe.

Über den Akt der Selbstverbrennung hinaus beschäftigen sich die Autoren des Werkes inhaltlich auch mit dem Leben und Wirken Brüsewitz‘, wodurch letztlich erst ermöglicht wird, das Geschehen einer Deutung zu unterziehen.

Ebenfalls als Primärliteratur habe ich „Das Signal von Zeitz“ gewählt. Auch in diesem Werk finden sich Meinungsäußerungen von Zeitzeugen, die unmittelbar mit dem Fall Brüsewitz‘ zu tun hatten und den Pfarrer persönlich kannten. Eine interessante Erweiterung der Materialien stellt hier die Sammlung der Zeitungsartikel zum Fall Brüsewitz‘ dar.

Für eine umfassendere Beleuchtung der Geschehnisse, insbesondere der Reaktionen des Staates, scheint mir „Das Signal von Zeitz“ nicht hinreichend zu sein, da das Werk nicht über die Akten des Ministeriums für Staatssicherheit verfügt. Insofern ergänzen sich beide Werke inhaltlich: „Das Fanal“ ermöglicht mit den enthaltenen Stasi-Dokumenten den Blick auf staatliche Reaktionen und Interventionen, während die Zeitungsartikel in „Das Signal von Zeitz“ die Darstellung des Geschehens in der Presse spiegeln.

1.3 Kurze allgemeine Erläuterung zur Arbeit

Die Reaktionen der Bundesrepublik Deutschland auf den Fall Brüsewitz' werden in der vorliegenden Arbeit weitgehend ausgespart, da dies zum einen den Rahmen einer Proseminararbeit „sprengen“ würde und sich zum anderen das Proseminar, in dessen inhaltlichem Kontext ich die Arbeit verfasse, ausschließlich mit den Kirchen und dem Staat in der DDR befasst hat.

2. Zur Person Oskar Brüsewitz'

Oskar Brüsewitz wird 1929, vier Jahre nach der nationalsozialistischen Machtergreifung, in Willkischken geboren und beginnt im Alter von 15 Jahren eine Ausbildung zum Schuhmacher. 1964 tritt Brüsewitz ins Predigerseminar in Erfurt ein und kann im Alter von 40 Jahren das Theologiestudium erfolgreich abschließen.[1] Ein Jahr darauf wird er Pfarrer in Droßdorf und Rippicha. Oskar Brüsewitz tritt immer wieder mit öffentlichen Aktionen hervor, die sich hauptsächlich gegen die SED richten und durch die er die Aufmerksamkeit der Staatssicherheit der DDR auf sich zieht.[2] Am 22. August 1976 erliegt Brüsewitz im Bezirkskrankenhaus in Halle den schwerwiegenden Folgen eines Selbstverbrennungsversuches.

3. Hintergründe und nähere Umstände zur Tat

3.1 Beschreibung des Tathergangs

Die öffentliche Selbstverbrennung des Pfarrers Oskar Brüsewitz ereignet sich am 18. August 1976 am Vormittag in der Fußgängerzone von Zeitz. Nachdem er einer Nachbarin zwei verschlossene Briefumschläge gegeben hat, mit der Bitte, sie möge diese nach Ablauf einer halben Stunde seiner Tochter überreichen (es handelt sich hierbei um Abschiedsbriefe an seine Familie und seinen Kirchenkreis), fährt er in die belebte Zeitzer Fußgängerzone.[3] Mit seinem Talar bekleidet, stellt Brüsewitz zwei selbstangefertigte Transparente auf dem Dachgepäckträger seines Autos auf, übergießt sich mit Benzin, das er in einer 20-Liter-Milchkanne mitgebracht hat und zündet sich schließlich mit einem Streichholz an. Brüsewitz, der in drei bis vier Meter hohen Flammen steht, rennt in Richtung der nahe gelegenen Superintendantur, wird jedoch von einem NVA-Soldaten, der ihm ein Bein stellt, aufgehalten. Ein CDU-Funktionär berichtet später von der bemerkenswerten Tatsache, dass Brüsewitz trotz schwerster Verbrennungen den Weg zum inzwischen eingetroffenen Krankenwagen eigenständig zurückgelegt habe.[4]

300 Menschen werden „Zeugen des Zeichens [...], das der Pfarrer Oskar Brüsewitz hatte setzen wollen“[5].

3.2 Die Motivation zur Tat

Auf Grund seiner zahlreichen Protestaktionen gegen die Staatsführung gerät Oskar Brüsewitz frühzeitig ins Visier der staatlichen Instanzen. Als „offene Kriegserklärung“[6] verstehen die Vertreter des Staates das Kreuz als Symbol des Christentums, welches Brüsewitz, angefertigt aus Neonröhren, am Kirchturm angebracht hat. Auch nach mehrfacher Aufforderung des Rates des Kreises, das Kreuz zu entfernen, weigert sich der Pfarrer, dieser nachzugehen.

Ein weiterer öffentlicher Protest sind seine Predigten, die sich stets gegen die Partei richten und in denen er Aussagen trifft wie: „Wir warten nicht auf den Kapitalismus oder den Kommunismus, sondern auf das Reich Gottes“[7]. Seine Gottesdienste sind sehr gut besucht, da der Pfarrer durch Aussagen solcher Art das Interesse der Menschen weckt.

Brüsewitz' Einfluss auf die Gemeindemitglieder, die den Pfarrer auf Grund seines handwerklichen und landwirtschaftlichen Geschicks sowie seines Einsatzes bei den Kirchenumbauten schätzen, soll entsprechend der von der SED gesetzten politischen Vorgabe geschwächt werden. So fordert 1972 der Rat des Kreises Zeitz die Versetzung Brüsewitz', von deren Realisierung allerdings auf Bitten des Oberkirchenrates Abstand genommen wird.

In einem Gespräch mit Propst Friedrich Bäumer, zu welchem er wegen der zahlreichen Protest-Aktionen, mit denen sich nun auch die Kirchenleitung in Magdeburg beschäftigt, gebeten wird, beschreibt Brüsewitz seine Situation in Zeitz als „Kesselschlacht“[8]. Er fühle sich von allen Seiten angegriffen und eingeschlossen.[9]

Als der Zeitzer Kreiskirchenrat Oskar Brüsewitz Unkorrektheit in der Amtsführung unterstellt, soll eine Visitation stattfinden, verbunden mit der Hoffnung, dies möge den Pfarrer disziplinieren. Brüsewitz reagiert „außerordentlich empfindlich auf diese Maßnahme“[10]. Für ihn kommt die Vorgehensweise der Kirchenleitung der Arbeitsweise der Staatssicherheit gleich und er unterstellt der Kirche, dass auch sie dem Staat hörig sei.[11]

Durch weitere öffentlichkeitswirksame Aktionen fühlt sich die SED-Bezirksleitung provoziert und stimmt mit den staatlichen Organen über „geeignete Maßnahmen gegenüber Brüsewitz“[12] ab. Als der staatliche Druck auf die Kirche wächst, sucht Propst Bäumer erneut das Gespräch mit Oskar Brüsewitz, um der Forderung der staatlichen Stelle nachzukommen und ihn zu versetzen. Unter ständiger Beobachtung des Ministeriums für Staatssicherheit versucht Oskar Brüsewitz, alltägliche Normalität zu demonstrieren und arbeitet gleichzeitig daran, seinen Plan der öffentlichen Selbstverbrennung umzusetzen.[13]

3.3 Brüsewitz' politische Botschaft

In seinem Abschiedsbrief an den Pfarrkonvent des Kirchenkreises Zeitz schreibt Brüsewitz: „Obwohl der scheinbare Frieden zukunftsversprechend ist, tobt zwischen Licht und Finsternis ein mächtiger Krieg. Wahrheit und Lüge stehen nebeneinander.“[14]. So wie Kempner ihrerzeit den Nationalsozialismus[15] als Finsternis benannt hat, versteht Brüsewitz unter „Finsternis“ den Kommunismus. In seinen letzten Tagen erzählt er seinem behandelnden Arzt in einem Moment vollen Bewusstseins, dass er sich „für den Kampf gegen den Kommunismus“[16] opfere, wodurch er das sich selbst auferlegte Leid des Selbstverbrennungsversuches in den Kontext der DDR einordnet.[17] Die Selbstverbrennung Brüsewitz' ist somit als „schärfste öffentliche Demonstration“[18] zu verstehen.

3.4 Brüsewitz' Anliegen an die Kirche

Oskar Brüsewitz erfährt in seiner persönlichen Geschichte selbst, dass sich seine Kirche den staatlichen Erwartungen beugt. Nach seiner Auffassung ist diese Haltung nicht zu billigen. Durch die bei seiner öffentlichen Selbstverbrennung aufgestellten Transparente mit der Aufschrift „Die Kirche in der DDR klagt den Kommunismus an! wegen Unterdrücken in Schulen an Kindern und Jugendlichen“[19] macht Brüsewitz deutlich, dass er eine andere Haltung der Kirche zum Staat fordert. Er klagt die atheistische, indoktrinäre Schulerziehung in der DDR an.

Das zweite Plakat mit der Botschaft „Wir klagen den Kommunismus an: wegen: Unterdrückung der Kirchen in Schulen an Kindern und Jugendlichen!“[20] ist persönlicher und konkretisiert Brüsewitz' Meinung.

Pfarrer Oskar Brüsewitz' Selbstverbrennung ist einerseits als „flammender Protest“[21] gegen die Unterdrückung und Verfolgung insbesonderer junger Christen in der DDR zu verstehen, andererseits ist sie eine Anklage gegen die Kirche, die ihre Pfarrer und Gläubigen nach Meinung Brüsewitz' in der Konfrontation mit der SED-Diktatur zu oft alleine lässt.[22]

4. Darstellung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche in der DDR

4.1 Willi Barths 5-Punkte-Maßnahmeplan

Durch den zweiten Sekretär der Hallenser SED-Bezirksleitung erreicht die Nachricht des Selbstverbrennungsversuches von Oskar Brüsewitz das Zentralkomitee der SED und kurz darauf den Leiter der Arbeitsgruppe für Kirchenfragen, Willi Barth. Barth, im Bewusstsein der möglichen politischen Tragweite der Tat Brüsewitz', entwirft umgehend einen Maßnahmeplan, welcher fünf Punkte beinhaltet.

Dieser sieht vor, dass der Staatssekretär für Kirchenfragen, Hans Seigewasser, sowie der Stellvertreter für Inneres des Rates des Bezirkes Halle auf den Bischof der evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen, Werner Krusche, einwirken sollen, damit sich „die Kirchenleitung umgehend und öffentlich von der Handlung des Pfarrers Brüsewitz distanziert“[23]. Außerdem soll der Bischof erklären, dass und wie die Kirchenleitung in Gemeinschaft mit dem Staat Spekulationen und Gerüchte vermeiden wolle. Desweiteren soll sie zu der geistlichen Verfassung des Pfarrers Stellung nehmen (zu diesem Zeitpunkt ist noch nicht bekannt, dass der Bischof sich im Ausland aufhält und von Propst Bäumer vertreten wird).

Willi Barth verlangt zweitens die Kontaktaufnahme Hans Seigewassers mit dem Leiter des Sekreteriats des Bundes der Evangelischen Kirchen, Manfred Stolpe. Bischof Werner Krusche soll nahegelegt werden, „sich öffentlich von dieser ungerechtfertigten Handlung des Pfarrers Brüsewitz zu distanzieren“[24] und zu erklären, dass es sich „um eine Person handelt, die nicht im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte“[25] sei und dass „diese Tat weder vom Bischof noch von der Kirchenleitung verstanden“[26] werde.

Desweiteren verlangt Barths Maßnahmeplan die Einwirkung der örtlichen Staatsorgane auf den zuständigen Superintendenten Joachim Hildebrandt, um zu erreichen, dass sich dieser von dem Geschehnis distanziere.

[...]


[1] Vgl. Müller-Enbergs, Helmut: Das Fanal, S. 41.

[2] Vgl. Schäfer, Joachim: http://www.heiligenlexikon.de/BiographienO/Oskar_Bruesewitz.html.

[3] Vgl. Müller-Enbergs, Helmut: Das Fanal, S. 13.

[4] Vgl. ebd.,S. 15.

[5] Ebd., S. 16.

[6] Ebd., S. 61.

[7] Ebd., S. 65.

[8] Ebd., S. 24.

[9] Vgl. Schultze, Harald: Das Signal von Zeitz, S. 73.

[10] Müller-Enbergs, Helmut: Das Fanal, S. 25.

[11] Vgl. ebd., S. 25.

[12] Ebd., S. 26.

[13] Vgl. Müller-Enbergs, Helmut: Das Fanal, S. 34.

[14] Schultze, Harald: Das Signal von Zeitz, S. 212.

[15] Vgl. Kempner, Benedicta: Priester vor Hitlers Tribunalen. München 1966.

[16] Schultze, Harald: Das Signal von Zeitz, S. 34.

[17] Vgl. ebd., S. 34 f.

[18] Facius, Gernot: Der Fall Oskar Brüsewitz,http://welt.de/print-welt/article146324/Der_Fall_Oskar_Bruesewitz.html.

[19] Schultze, Harald: Das Signal von Zeitz, S. 19.

[20] Ebd., S. 19.

[21] Facius, Gernot: Der FallOskar Brüsewitz, http://www.welt.de/print-welt/article146324/Der_Fall_Oskar_Bruesewitz.html.

[22] Vgl. Schultze, Harald: Das Signal von Zeitz, S. 320.

[23] Ebd., S. 87.

[24] Ebd., S. 151.

[25] Müller-Enbergs, Helmut: Das Fanal, S. 87.

[26] Ebd., S. 87.

Excerpt out of 24 pages

Details

Title
Die Selbstverbrennung des Oskar Brüsewitz
College
University of Marburg
Grade
2,3
Author
Year
2008
Pages
24
Catalog Number
V208570
ISBN (eBook)
9783656361695
ISBN (Book)
9783656362432
File size
557 KB
Language
German
Keywords
selbstverbrennung, oskar, brüsewitz
Quote paper
Karina Kanwischer (Author), 2008, Die Selbstverbrennung des Oskar Brüsewitz, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/208570

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