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GMS Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS)

ISSN 1860-9171

Ethische Anforderungen an elektronische transsektorale Kommunikation im Gesundheitswesen. Formulierung zentraler Fragestellungen auf Basis eines Literaturreviews

Ethical requirements for cross-sectoral electronic communication in healthcare. Development of central questions based on a literature review

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  • corresponding author Georg Schulte - Hochschule Osnabrück, Forschungsgruppe Informatik im Gesundheitswesen, Osnabrück, Deutschland; Klinikum Osnabrück GmbH, Osnabrück, Deutschland
  • Ursula Hübner - Hochschule Osnabrück, Forschungsgruppe Informatik im Gesundheitswesen, Osnabrück, Deutschland
  • Hartmut Remmers - Universität Osnabrück, Institut für Gesundheitswissenschaft und Bildung, Osnabrück, Deutschland

GMS Med Inform Biom Epidemiol 2018;14(2):Doc08

doi: 10.3205/mibe000186, urn:nbn:de:0183-mibe0001867

Published: August 30, 2018

© 2018 Schulte et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution 4.0 License. See license information at http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Elektronisch unterstützte transsektorale Kommunikation im Gesundheitswesen ist eine der essentiellen Säulen von eHealth. Sie ist eine menschliche Handlung, die eine Verbesserung der Versorgung Einzelner und ganzer Bevölkerungsgruppen bewirken soll. Ethik bewertet menschliches Handeln in Bezug auf dessen Auswirkungen und die ihm zugrunde liegenden Werte und Normen. Dabei werden die Auswirkungen auf Individuen und Allgemeinheiten betrachtet. Im Gesundheits- und Sozialwesen gelten die Prinzipien der Autonomie, der Schadensverhütung, der Fürsorge und der Gerechtigkeit als Maßstäbe. Es gilt also die Fragen herauszuarbeiten, die an elektronische transsektorale Kommunikation aus ethischer Sicht gestellt werden müssen, um zu untersuchen, ob sie innerhalb der genannten Prinzipien ethischen Anforderungen genügt.

Aus den Ergebnissen einer systematischen Literaturrecherche wurden zunächst allgemein Aussagen zum Thema Information und Technologie im Zusammenhang mit Ethik extrahiert, und daraufhin geprüft, auf welche Fragen sie Antworten anbieten. Diese wurden innerhalb der genannten fünf Prinzipien als Fragen an elektronische transsektorale Kommunikation formuliert.

Aus den Aussagen der Literatur ließen sich sieben Fragen ableiten und den ethischen Prinzipien zuordnen, um mit ihnen elektronische transsektorale Kommunikation zu untersuchen. Auf diese Weise kann geprüft werden ob diese in der Lage sind, das Wohl Einzelner wie auch von Gemeinschaften im Gesundheitswesen zu fördern, wovon Betroffene, Professionelle und das Gesundheitssystem insgesamt profitieren könnten.

Schlüsselwörter: transsektorale Kommunikation, Informationstechnologie, ethische Anforderungen, ethische Prinzipien

Abstract

Electronic communication across healthcare settings is one of the essential pillars of eHealth. It is a human activity, which is supposed to improve care for individuals and communities. Ethics evaluates such human activities regarding their impact and the values and norms that form its basis. Thereby, the impact both on individuals and communities is regarded. In health- and social care, the principles of autonomy, damage prevention, welfare, and justice are regarded as standards. Thus, the questions to be addressed to electronic communication across settings from an ethical point of view have to be defined, in order to examine if it meets ethical demands.

At first, statements referring to health information and technology in the context of ethics were extracted from publications found in a systematic literature analysis, and then checked, for which potential questions they offered answers. The resulting statements were phrased as questions relating to the five principles mentioned above.

Seven questions could be derived from the statements of the literature, and could be associated to the ethical principles. Based on these results, further research can investigate, whether technical applications for cross-sectorial electronic communication is able to improve the welfare of individuals as well as that of communities, from which patients, professionals and the whole healthcare system could profit.

Keywords: electronic communication across settings, information technology, ethical demands, ethical principles


1 Einleitung

Elektronisch unterstützte transsektorale Kommunikation im Gesundheitswesen ist einer der essentiellen Säulen von eHealth. Sie ist als eine menschliche Handlung zu verstehen, die eine Versorgung Einzelner und ganzer Bevölkerungsgruppen positiv beeinflussen soll. Sie kann also Auswirkungen auf das Wohlergehen Einzelner, von Gruppen und der Allgemeinheit haben, indem sie Ressourcen im Gesundheitswesen bindet oder freisetzt. Allerdings wird der Einsatz von Technologie nicht von allen Akteuren per se positiv bewertet. Vielmehr gibt es gerade aus ethischer Sicht eine Vielzahl von Vorbehalten, z.B. aus der Pflegewissenschaft und von ärztlicher Seite. Vor diesem Hintergrund gibt es einen entsprechenden Klärungsbedarf.

Ethik ist die praktische Disziplin der Philosophie, die sich mit menschlichem Handeln und der ihm zugrundeliegenden Moral und Prinzipien befasst [1]. Ethik stellt die Frage nach geltenden Werten und Normen in Zusammenhang mit den ihnen zugrunde liegenden Grundprinzipien und menschlicher Lebenspraxis. Diese wird meist unbewusst durch tradierte und sozialisierte Werte und Normen gelenkt. Der Mensch ist aber grundsätzlich in der Lage, sich diese sowie sein Handeln „bewusst zu machen, sie zu reflektieren und gegebenenfalls zu modifizieren“ ([1], S. 31). Ethik befasst sich mit den Auswirkungen des Handelns sowohl auf die Allgemeinheit (common good) als auch auf Individuen (individual good). Dabei umfasst common good alle sozialen Strategien, die zu einer Beeinflussung von individual good beitragen [2].

1.1 Ethische Prinzipien

Der über einen freien Willen verfügende Mensch braucht Hilfestellung, um ethisch begründete Entscheidungen für sein Handeln treffen zu können. Diese Hilfestellung bieten sieben Prinzipien, die von Ross [3] als Grundlage für die Ausrichtung ethisch korrekten Handelns herausgearbeitet wurden: Ehrlichkeit, Wiedergutmachung, Dankbarkeit, Gerechtigkeit, Fürsorge, Selbstfürsorge und Schadensverhütung. Diese Prinzipien sollen prima facie für alle Menschen erkennbar und verpflichtend sein. Beauchamps und Childress [4] entwickelten dieses Modell weiter und nennen die vier Prinzipien, die heute als grundlegend in der Medizinethik sowie im Gesundheits- und Sozialwesen angesehen werden [5]:

  • Autonomie: das Recht und die Fähigkeit, persönliche Entscheidungen zu treffen, sowie die Verfügungsgewalt über die eigenen Daten. Hierzu bedarf es der formalen Berechtigung, aber auch der Befähigung, vor allem durch die Verfügbarkeit der relevanten Informationen.
  • Schadensverhütung: Betroffene sollen durch das Handeln der im Gesundheitswesen Beschäftigten keinen körperlichen, psychischen oder materiellen Schaden erleiden, weder individuell noch als Gemeinschaft.
  • Fürsorge: Menschen sollen gestärkt und unterstützt und ihr Wohlergehen verbessert werden, sowohl individuell als auch gemeinschaftlich. Dies gilt für die Ausgestaltung politischer Programme, gesetzlicher Rahmenbedingungen und von Institutionen ebenso wie für konkrete Handlungen.
  • Gerechtigkeit: Das Gesundheitswesen soll den Rechten und Ansprüchen auf eine angemessene Behandlung gerecht werden (nonkomparative Gerechtigkeit), und die Ressourcen, Lasten und Risiken gerecht verteilen (komparative Gerechtigkeit, Distributionsgerechtigkeit). Letztere kann unterschiedlich definiert werden: Leistungen, Lasten und Risiken können an der individuellen Bedürftigkeit, der Leistungsfähigkeit oder erworbenen Ansprüchen orientiert oder auf alle in gleichem Maße verteilt werden [5].

1.2 Forschungsfrage

Vor dem Hintergrund einer zunehmenden Bedeutung von elektronischer transsektoraler Kommunikation im Gesundheitswesen soll diese danach beurteilt werden, ob und wie sie den oben genannten Prinzipien gerecht wird, und zwar im Hinblick auf Erbringende und Empfangende von Gesundheitsdienstleistungen, und auf Individuen und Gemeinschaften. Daraus folgt die Forschungsfrage:

Welche konkreten Fragen an elektronische transsektorale Kommunikation ergeben sich aus Sicht der Ethik, insbesondere unter Berücksichtigung der Prinzipien der Autonomie, der Schadensverhütung, der Fürsorge und der Gerechtigkeit?

Unter Anwendung der ermittelten Fragen kann dann elektronische transsektorale Kommunikation untersucht werden.


2 Methode

2.1 Literaturrecherche

Es wurde eine systematische Literaturrecherche nach den Suchkriterien (information OR technology) AND (sociology OR ethics OR philosophy) in Titel und Abstract durchgeführt. Sie erfolgte in den Datenbanken PubMed, Cochrane und Cinahl. Die in Tabelle 1 [Tab. 1] genannten Kriterien führten zum Ausschluss von Publikationen. 17 weitere Arbeiten wurden im Rahmen von Forschungskolloquien identifiziert. Zur Literaturverwaltung wurde das Programm Citavi® verwendet.

2.2 Anwendung der Forschungsfragen auf die Ergebnisse der Literaturrecherche

Aus den gewonnenen Literaturstellen wurden allgemeine Aussagen über Information und Technologie im Zusammenhang mit Ethik extrahiert. Dann wurde geprüft und im Rahmen zweier Kolloquien konsentiert, auf welche Fragen sie Antworten anbieten. Diese wurden als spezifische Fragen an elektronische transsektorale Kommunikation den ethischen Prinzipien zugeordnet. So kann elektronische transsektorale Kommunikation auf die gewonnenen Fragen hin mit Erkenntnissen aus Studien untersucht werden, die über entsprechende Evaluationsverfahren Aussagen in expliziter oder eher in impliziter Form zu den ethischen Fragen liefern.


3 Ergebnisse

Es konnten insgesamt 46 Veröffentlichungen zum Thema identifiziert werden (Tabelle 1 [Tab. 1]).

Die gewonnenen Arbeiten waren einerseits im Bereich der Philosophie angesiedelt, insbesondere der Medizin- und Pflegeethik, aber auch in den Bereichen Public Health, Pflegewissenschaft und Gesundheitsinformatik. Aus den Arbeiten konnten 117 Aussagen zu Information/Technologie und Ethik extrahiert werden. Nach der Zusammenfassung von Aussagen gleichen oder ähnlichen Inhalts verblieben 27. Aus diesen ließen sich sieben Fragen ableiten und den ethischen Prinzipien zuordnen, um mit ihnen elektronische transsektorale Kommunikation zu untersuchen.

3.1 Autonomie

Zu diesem Thema finden sich sowohl Aussagen, die den Datenschutz und die Entscheidungsfreiheit thematisieren, als auch solche über den Einfluss von Technologie auf die Professionalität der Gesundheitsberufe.

Es besteht eine Pflicht zur Wahrung des Datenschutzes sowie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung [6], [7], [8], [9], [10], [11], [12]. Insbesondere Pflegende haben eine Rolle als Advokaten ihrer Betreuten zur Beschaffung der Informationen, die aufgrund technischer Barrieren oder Vorbehalte Professioneller schwer zugänglich sind, zur Erlangung von Autonomie aber benötiget werden [13], [14]. Hieraus lässt sich die Frage ableiten: Werden Datenschutz, informationelle Unversehrtheit und Selbstbestimmungsrecht von Patientinnen und Patienten durch elektronische transsektorale Kommunikation beeinträchtigt, oder werden sie durch diese gestärkt?

Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) dient der Selbstständigkeit und Sicherheit Betroffener, wenn die Erfahrungswissen und wissenschaftliche Erkenntnisse ausreichend berücksichtigt sind [15]. Zur Einschätzung individueller Situationen ist neben intuitivem Einfühlen auch objektives Wissen notwendig [16]. Der Beziehungsaspekt steht beim Gebrauch von Gesundheitstechnologie im Vordergrund [10]. Die Anwendung standardisierter und hoch strukturierter Informationen stellt hohe Anforderungen an die Professionalität [17], [18], zumal in Kombination mit ethischen Grundsätzen [19]. Der Gebrauch neuer Technologien bedingt eine Anpassung der Organisation im Gesundheitswesen [10]. Der Anschluss an die Systemlogik des Gesundheitswesens durch Technologie kann die Anerkennung der nicht-ärztlichen Berufe als Professionen unterstützen [20]. Technologie kann aber auch ein falsches Gefühl von Sicherheit vermitteln [15]. Es drohen der Verlust von Handlungs- und Entscheidungsfreiheit sowie Individualität durch standardisierte Informationen [15], [20], [21], [22], sowie der Verlust praktischer Fertigkeiten und von Erfahrungswissen [21].

Hieraus leitet sich die Frage ab: Beeinflusst elektronische transsektorale Kommunikation die professionellen Fähigkeiten und Möglichkeiten der im Gesundheitswesen Tätigen, und wenn ja, zum Negativen oder Positiven?

3.2 Schadensverhütung

Zu diesem Prinzip finden sich Aussagen zur Ganzheitlichkeit und Individualität von Betroffenen sowie zum Aufwand und zur Aufmerksamkeit, die die Beschäftigung mit Informationstechnologie beansprucht.

Menschen werden durch IKT in Daten frakturiert, wodurch die ganzheitliche Sichtweise [6], [20], [21] und die Respektierung des Einzelnen verlorengeht [15]. Durch die Zuordnung von Menschen zu Kategorien droht die Diskriminierung Einzelner oder ganzer Gruppen [6], [22], und eine technologisch-deterministische Steuerung der diagnostischen, therapeutischen und pflegerischen Abläufe [23], [24]. Die Sicht auf objektive Daten oder Ganzheitlichkeit ist aber nur ein scheinbarer Gegensatz [25]. Neben dem Aufbau einer tragfähigen Beziehung ist ein Assessment des klinischen Zustands in Form von objektiven Daten notwendig [19], z.B. auch der social determinants of health (SDOHs) [26]. Daraus ergibt sich die Frage: Beeinträchtigt elektronische transsektorale Kommunikation die Sicht auf Ganzheitlichkeit und Individualität, oder unterstützt und erweitert sie diese?

Die Dokumentation mittels elektronischer Medien kann den Zeitaufwand im Vergleich zu papierbasierter Dokumentation erhöhen [21]. Ebenso kann die Anwendung von IKT die volle Aufmerksamkeit der anwendenden Person benötigen und so von der Sicht auf die Bedarfe der Patientinnen und Patienten ablenken [17], [23]. Die Frage lautet hier: Bedingt elektronische transsektorale Kommunikation einen erhöhten Aufwand an Zeit und Aufmerksamkeit, die dann bei der Versorgung fehlen?

3.3 Fürsorge

Informationstechnologie im Gesundheitswesen soll eine Verbesserung der Versorgung bewirken. Dies kann auf den Ebenen individual good und common good erfolgen.

Damit Daten zu einer adäquaten Versorgung von Versorgungsbedürftigen beitragen können, bedarf es ihrer Exaktheit, Wahrheit und Objektivität [6] und ihrer Relevanz [27]. Weitere Voraussetzung sind Standards für eine Fachsprache, für Informationswege und die Zugangsberechtigung für alle relevanten Beteiligten [6], [7], [8], [9], [12], [28], [29], [30]. Aus diesen Aussagen ergibt sich die Frage: Trägt elektronische transsektorale Kommunikation zum zuverlässigen Austausch der relevanten Informationen zwischen den relevanten Beteiligten bei?

Der Nutzen für Individuen und die Gesellschaft ist das entscheidende ethische Bewertungskriterium für Technologie im Gesundheitswesen [15], also auch für Informationstechnologie. Auch wenn Dokumentation aus juristischen, ökonomischen und organisatorischen Gründen erfolgt [6], [20], [21], [31], ist Technologie, die Institutionen des Gesundheitswesens hierbei unterstützt, als für das Gemeinwohl förderlich anzusehen. Technischer Fortschritt kann zudem zu einer Steigerung der Effizienz des Gesundheitswesens zum Nutzen der Betroffenen beitragen [7], [9], [15], [22], [31], [32].

Die Frage nach dem Nutzen lautet also: Dient elektronische transsektorale Kommunikation unmittelbar dem Wohl der Patientinnen und Patienten (individuell und in Gesamtheit), oder dem Wohl der Institutionen des Gesundheitswesens bzw. der in ihm Arbeitenden?

3.4 Gerechtigkeit

Technologie im Gesundheitswesen kann nicht nur durch Effizienzsteigerung zur Freisetzung von Mitteln beitragen, sondern durch hohen Ressourcenverbrauch auch zur Verknappung der Mittel, ggf. mit den Folgen einer Rationierung und der Benachteiligung vulnerabler Gruppen [22], [32]. Grundsätzlich besteht ein Anspruch von Betroffenen auf eine Versorgung nach dem neuesten Stand [18]. Es muss also gefragt werden: Kann elektronische transsektorale Kommunikation zu einer gerechten/bedarfsorientierten Verteilung von Gesundheitsversorgung beitragen?


4 Diskussion und Schlussfolgerungen

4.1 Sicht der Ethik auf Gesundheits-IKT

Wenn elektronische transsektorale Kommunikation im Gesundheitswesen aus ethischer Perspektive diskutiert wird, steht dabei die Frage nach den intendierten oder befürchteten und den tatsächlich eintretenden Auswirkungen auf das Wohl der Betroffenen im Zentrum, und zwar für Einzelpersonen und für Gemeinschaften. Außerdem müssen die handlungsleitenden Prinzipien der Autonomie, der Schadensverhütung, der Fürsorge und der Gerechtigkeit bei der Anwendung dieser Technologien beachtet werden. Dieser Beitrag leistet eine Übersicht über Fragestellungen, die in der Forschung zur evidenzbasierten Gesundheits-IKT berücksichtigt werden sollten.

4.2 Bürgerinnen und Bürger

An elektronische transsektorale Kommunikation besteht der Anspruch, die Versorgungsqualität nach einem Wechsel zwischen den Settings des Gesundheitswesens zu verbessern. Aus Sicht der Betroffenen wäre dann ihr regelhafter Gebrauch von großem Nutzen, zumal für sie ein Anrecht auf Versorgung nach dem aktuellen Stand des Wissens und der Technik besteht. Für ihre Nutzung bedarf es einer IT-Infrastruktur, die ethischen Anforderungen entspricht. Sie ist daraufhin zu überprüfen, ob Betroffene die Verfügungsgewalt über ihre Daten haben, und bestimmen und kontrollieren können, welche Daten zu welchem Zeitpunkt an wen gelangen bzw. für wen zugänglich sind. Sie müsste elektronische Instrumente befördern, die bei einem Wechsel zwischen den Versorgungssettings personenbezogene Daten in strukturierter Form nach dem neuesten Stand des Wissens an definierte Verantwortliche übermitteln, allen Bürgerinnen und Bürgern zur Verfügung stehen und so zur distributiven Gerechtigkeit beitragen.

4.3 Professionalität der Gesundheitsberufe

Zu den Belastungen, denen chronisch Kranke und Langzeit-Pflegebedürftige ausgesetzt sind, gehören auch häufige Wechsel zwischen versorgenden Institutionen. Dabei auftretende Informations- und damit auch Versorgungsbrüche schaden nicht nur den Betroffenen, sondern auch dem Ansehen der Gesundheitsberufe als kompetente und gleichberechtigte Partner. Elektronische transsektorale Kommunikation, die auf wissenschaftlich begründeten, innerhalb und zwischen den Berufsgruppen konsentierten Datensätzen beruht, kann mit den ermittelten Fragen daraufhin überprüft werden, ob sie den zielgerichteten Informationsaustausch auf Augenhöhe unterstützt, und ob die Nutzung objektiver Daten im Widerspruch zum Aufbau einer therapeutischen Beziehung steht oder diese unterstützt.

4.4 Gesundheitssystem

Die Kommunikation über Diagnostik, Therapie und Pflege zwischen ambulantem und stationärem Sektor ist oft unzureichend und führt zu kostenintensiver und belastender redundanter Diagnostik und Therapie sowie zu Versorgungsbrüchen, die negative Auswirkungen für die Betroffenen und hohe Folgekosten für das Gesundheitssystem nach sich ziehen können. Auch innerhalb des ambulanten Sektors bestehen Barrieren für die Kommunikation der Beteiligten: Der Informationsfluss zwischen Haus- und Fachärzten, Pflegeheimen, ambulanten Pflegediensten und anderen Einrichtungen ist nicht geregelt und zum Teil vom Willen und den Möglichkeiten der Beteiligten und von der Fähigkeit zur Mitwirkung und Improvisationskunst der Betroffenen bzw. ihrer Angehörigen abhängig. Auch innerhalb von Berufsgruppen bestehen Hemmnisse für Informations- und damit Versorgungskontinuität. Papierbasierte Instrumente konnten die Barrieren zwischen Sektoren, Berufsgruppen und Institutionen bisher nur unzureichend überbrücken. Elektronische transsektorale Kommunikationsinstrumente und eine in Deutschland noch zu errichtende IT-Infrastruktur sind daraufhin zu überprüfen, ob sie in der Lage sind, zur Beseitigung dieser Hemmnisse innerhalb des Gesundheitssystems beizutragen.

Vor diesem Hintergrund sind Überlegungen zur Gesundheitstelematik und von eHealth auch immer aus ethischen Aspekten zu bewerten und Technologien entsprechend ergebnisoffen zu evaluieren, unabhängig davon, welche initialen Erwartungen bestehen.


Anmerkung

Interessenkonflikte

Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


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