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GMS Medizin — Bibliothek — Information.

Arbeitsgemeinschaft für Medizinisches Bibliothekswesen (AGMB)

ISSN 1865-066X

Medizinhistorische Bestände der Universitätsbibliothek der Medizinischen Universität Wien: Die neun historischen Bibliotheken an der Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin mit Beispielen aus den Beständen

Medical historic stock of the University Library of the Medical University of Vienna: Nine historic libraries at the Branch Library for Medical History with examples of their stocks

Fachbeitrag Medizinhistorische Quellen an Wiener Universitäten

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  • corresponding author Harald Albrecht - Medizinische Universität Wien, Universitätsbibliothek, Wien, Österreich

GMS Med Bibl Inf 2017;17(1-2):Doc07

doi: 10.3205/mbi000386, urn:nbn:de:0183-mbi0003866

Published: September 21, 2017

© 2017 Albrecht.
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Zusammenfassung

Die Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin der Medizinischen Universität Wien ist mit über einer halben Million Bänden die größte medizinhistorische Bibliothek Österreichs. Neben rezenter Literatur zur Geschichte der Medizin befinden sich neun historisch abgeschlossene Bibliotheken mit Beständen aus 6 Jahrhunderten (15.–20. Jhdt.) am Standort dieser Bibliothek im Josephinum. Der Artikel stellt diese neuen Bibliotheken vor und präsentiert jeweils ein Highlight aus diesen Beständen.

Schlüsselwörter: Erste Wiener Medizinische Schule, Gesellschaft der Ärzte Bibliothek, Historische Dissertations-Bibliothek, Josephinische Bibliothek, Josephinum, Medizinische Universität Wien, Neuburger Lesky Bibliothek, neun abgeschlossene historische Bibliotheken, Obersteiner Bibliothek, Rara Bibliothek, Reuter Bibliothek, Separata Bibliothek, Universitätsbibliothek der Medizinischen Universität Wien, Wiener medizinische Schulen, Wolf Bibliothek, Zweite Wiener Medizinische Schule, Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin

Abstract

The Branch Library for Medical History of the Medical University of Vienna containing over half a million items is the largest library for medical history in Austria. Next to current literature about medical history the library stocks nine completed historical libraries with books out of six centuries (15th–20th century) in its location at the Josephinum. The article describes these nine libraries and presents a highlight of every collection.

Keywords: Branch Library for Medical History, College of Physicians Library, First Vienna School of Medicine, Historical Dissertation Library, Josephina Library, Josephinum, Medical University of Vienna, Neuburger Lesky Library, nine historical libraries, Obersteiner Library, Offprint Library, Rare Book Library, Reuter Library, Second Vienna School of Medicine, University Library of the Medical University of Vienna, Vienna Schools of Medicine, Wolf Library


Einleitung

Die Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin, eine Abteilung der Universitätsbibliothek der Medizinischen Universität Wien, beherbergt im Josephinum in der Währingerstraße 25 die größte medizinhistorische Bibliothek Österreichs [1]. An diesen Standort sind im Laufe des 20. Jahrhunderts laufend Bestände aus Kliniken und Instituten der vormaligen Medizinischen Fakultät an der Universität Wien, Geschenke von diversen Vereinen und Privaten sowie Schenkungen und Nachlässe überantwortet worden [2].

Viele Jahrzehnte lang wurden die Bibliotheksbestände im Josephinum ausschließlich nach formalen Kriterien aufgearbeitet und erschlossen (wertvolle historische Monografien, Dissertationen, Separata), die Provenienz der jeweiligen Bestände wurde nicht weiter beachtet. Diese Bestände wurden in der Regel gemäß Numerus Currens aufgestellt, die Provenienzen wurden in der Regel über die Jahre nicht mehr weiter beachtet. Erst in einem aktuellen Projekt erfolgt die Rekonstruktion und Dokumentation der früheren Besitzerinnen und Besitzer sowie der Geschichte der betreffenden Bestände [3].

Neben dem laufend erweiterten Bestand an rezenter Forschungsliteratur zur Geschichte und Sozialgeschichte der Medizin und ihrer Nebenfächer, der aus ca. 6.000 Signaturen (ca. 8.000 Bänden) besteht und über den allgemeinen Sucheinstieg der Website der Universitätsbibliothek der Medizinischen Universität Wien recherchierbar ist (http://search.obvsg.at/primo_library/libweb/action/search.do?vid=UMW), setzt sich die Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin aus neun abgeschlossenen historisch sehr wertvollen Bibliotheken zusammen, die in folgender Abfolge ins Josephinum eingebracht worden sind:

  • Jospehinische Bibliothek
  • Neuburger Lesky Bibliothek
  • Gesellschaft der Ärzte Bibliothek
  • Separata Bibliothek
  • Rara Bibliothek
  • Historische Dissertations-Bibliothek
  • Wolf Bibliothek
  • Reuter Bibliothek
  • Obersteiner Bibliothek

Josephinische Bibliothek

Die Josephinische Bibliothek (Abbildung 1 [Abb. 1]) geht auf die Gründung der Militärärztlichen Akademie unter Joseph II. im Jahr 1785 zurück. Sie umfasst 6.377 Signaturen (ca. 11.500 Bände) aus fünf Jahrhunderten (15.–19. Jhdt.) [4]. Das älteste Werk ist ein Druck einer frühen Pestschrift aus dem Jahr 1478. Ihr inhaltlicher Schwerpunkt liegt auf den Fächern Chirurgie, Anatomie, Augenheilkunde und Geburtshilfe sowie Mineralogie, Chemie, Botanik und Zoologie. Etwa ein Drittel der Bestände gingen zwischen 1939 und 1945 kriegsbedingt verloren. Diese Lücken wurden in den 1960er und 1970er Jahren mit den historisch wertvollsten Beständen der Bibliotheken der Gesellschaft der Ärzte in Wien und der I. Augenklinik aufgefüllt. Aktuell werden diese Bestände einer Gesamtrevision (inkl. Tiefenerschließung und Retrokatalogisierung) unterzogen.

Highlight aus der Josephinischen Bibliothek

Vesalius, Andreas: De Humani corporis fabrica Libri septem. Basel: Per Ioannem Oporinum (1555)

Im Bestand der Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin befinden sich insgesamt drei Ausgaben dieses Werkes, zwei sind der Josephinischen Bibliothek, eines der Obersteiner Bibliothek zugeordnet. Andreas Vesalus (*31.12.1514/01.01.1515 Brüssel, gest. 15.10.1564 Zakynthos) gilt als Begründer der modernen Anatomie. Er wurde 1544 Leibarzt Kaiser Karl V. (1500–1558) und nach dessen Abdankung 1556 Leibarzt seines Sohnes Philipp II. von Spanien (1527–1598).

Vesalius prangerte die unreflektierte Tradierung der Lehren Galens durch seine Kollegen an und forderte eine neue Anatomie, die sich ausschließlich auf eigene Befunde und Beobachtungen durch Sektionen stützen sollte. Damit führte er morphologisches Denken in die Darstellung der Anatomie ein. Vesals Innovationsschub löste den größten Fortschritt in der Anatomie seit der Antike aus. Angesichts der Erregungen, die Vesals Sektionen auslösten, kam es sogar zu einer kaiserlichen Anfrage an die theologische Fakultät von Salamanca durch Karl V., ob ein katholischer Christ Leichen sezieren dürfe. Die Fakultät bescheinigte, dass die Zergliederung von Leichen für die Erlernung der Heilkunde unerlässlich und daher zulässig sei.

In den Jahren 1538 bis 1542 entstand Vesalius‘ Hauptwerk: De Humani corporis fabrica Libri septem (Abbildung 2 [Abb. 2]). Es handelt sich um ein prachtvolles Lehrbuch, das mit zirka 200, teilweise ganzseitigen, Illustrationen ausgestattet ist. Die hervorragenden Holzschnitte werden zum Teil Jan Stephan van Calcar (1499–1548), einem Schüler Tizians (1488–1576), zugeschrieben. Vesal zeichnet in diesem Werk, bezugnehmend aus Plinius (23–79), eine Abstammungslinie vom Affen zum Menschen. Vesals Fabrica erschien 1543 in Basel, wo er auch ein anatomisches Kolloquium abhielt und eine Leiche präparierte. Es handelt sich angeblich um Jakob Karrer von Gebweiler, einen Straftäter. Dieses „Vesalsche Skelett“ ist heute noch in der anatomischen Sammlung in Basel erhalten.

Beschrieben wurde der Vesal aus dem Bestand der Josephinischen Bibliothek am 19. Januar 2017 im Van Swieten Blog: https://ub.meduniwien.ac.at/blog/?p=27069


Neuburger Lesky Bibliothek

Die Neuburger Lesky Bibliothek (Abbildung 3 [Abb. 3]) umfasst zirka 70.000 Signaturen (ca. 100.000 Bände) medizinhistorischer Literatur vom 18. bis zum 20. Jahrhundert, sowie knapp 1.000 Zeitschriftentitel. Die Bibliothek setzt sich aus dem Grundbestand der Militärärztlichen Akademie (bis 1918) und den Erweiterungen des ehem. Instituts für Geschichte der Medizin (ab 1920) zusammen. Dazu gehören unter vielen anderen privaten und institutionellen Kollektionen etwa 16.000 Signaturen (18.–19. Jahrhundert.) und etwa 300 der 1.000 Zeitschriftentitel der 1. Dauerleihgabe der Gesellschaft der Ärzte aus dem Jahr 1976, und zahlreiche Bestände der I. Augenklinik (18.–19. Jahrhundert). Die Bibliothek enthält vor allem die Schriften der Vertreter der Zweiten Wiener Medizinischen Schule, wie Carl von Rokitansky (1804–1878), Joseph Skoda (1805–1881), Ferdinand von Hebra (1816–1880), Ignaz Philipp Semmelweis (1818–1865), Theodor Billroth (1829–1894), Hermann Nothnagel (1841–1905), Guido Holzknecht (1872–1931), Adam Politzer (1835–1921), Julius Wagner-Jauregg (1857–1940) und Karl Landsteiner (1868–1943).

Highlight aus der Neuburger Lesky Bibliothek

Zuckerkandl, Emil: Atlas der topographischen Anatomie des Menschen. In 636 Figuren mit erläuterndem Texte. Wien und Leipzig: Wilhelm Braumüller [1899]–1904.

Emil Zuckerkandl (*01.09.1849 Gyor/Ungarn, gest. 28.05.1910 Wien) war Anatom und Anthropologe. Er studierte ab 1867 Medizin in Wien. Nach seiner Promotion zum Dr. der Medizin arbeitete er ab 1874 als Assistent am Anatomischen Institut bei Carl von Langer (1819–1887). 1880 schlug ihn die Fakultät ohne Habilitation zum a.o. Professor vor. Zuckerkandl hatte zu diesem Zeitpunkt bereits 58 wissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht, unter anderem „Zur Morphologie des Gesichtsschädels“ (1877), „Über das Riechzentrum“ (1877) und „Über eine bisher noch nicht beschriebene Drüse in der regio suprahyoidea“ (1879), welche heute noch seinen Namen trägt. „Der große wissenschaftliche Wurf gelang ihm 1882 mit der Monographie über die ,Normale und pathologische Anatomie der Nasenhöhle und ihrer pneumatischen Anhänge‘. Zuckerkandl kann als Gründer dieser Disziplin bezeichnet werden und hat die Entwicklung der modernen Rhinologie damit überhaupt erst ermöglicht: auf jeder Seite dieses Buches finden sich Beobachtungen von großer Tragweite, was noch eine Generation später als eine ,schier unglaubliche Tatsache‘ gewertet wurde.“ [5] 1882 wurde Zuckerkandl zum ordentlichen Professor für Anatomie an der Universität Graz und 1888 schließlich an der Universität Wien ernannt.

Am 15. April 1886 heiratete er Berta Szeps (*13.04.1864 Wien, gest. 16.10.1945 Paris), die Tochter des Zeitungsverlegers und Mediziners Moritz Szeps (1835–1902). Berta Zuckerkandl führte vom Ende des 19. Jahrhunderts bis 1938 einen literarischen Salon, in dem viele berühmte Künstler und Wissenschaftler verkehrten. Aufgrund ihrer jüdischen Herkunft musste Berta Zuckerkandl nach dem „Anschluss“ 1938 aus Österreich fliehen. Über Paris gelangte sie 1940 zu ihrem Sohn Fritz nach Algier, wo sie bei einem Rundfunksender der Alliierten mitarbeitete und die Österreicher zum Widerstand gegen die Nationalsozialisten aufrief. Sie kehrte 1945 nach Paris zurück, wo sie, schwer erkrankt, starb.

Emil Zuckerkandls Forschungsschwerpunkt lag auf der topographischen Anatomie. Seine klare räumliche Vorstellungsgabe und seine Begabung in der Zergliederungskunst waren ihm auf diesem Gebiet eine große Hilfe. Für ihn war die Anatomie kein Selbstzweck, sondern dazu da, die praktischen Fragen der Medizin zu lösen. Dies brachte ihm auch große Anerkennung unter den damaligen Chirurgen ein. Als sein Hauptwerk gilt der mehrbändige „Atlas der topographischen Anatomie des Menschen“ (Abbildung 4 [Abb. 4]), der im Van Swieten Blog am 29. Juni 2017 vorgestellt wurde: https://ub.meduniwien.ac.at/blog/?p=27883


Gesellschaft der Ärzte Bibliothek

Die Gesellschaft der Ärzte Bibliothek (Abbildung 5 [Abb. 5]) besteht aus ca. 30.000 Monografien (15.–20. Jahrhundert), zirka 300 Zeitschriften und zirka 50.000 Separata [6]. Der Bestand kam in mehreren Tranchen (1960er, 1976 und 2003) in die Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin. Bis auf den Monografienbestand der Dauerleihgabe aus dem Jahr 2003 [7], der als separiert aufgestellter Korpus physisch erhalten geblieben ist (zirka 10.000 Monografien), ist der Großteil der Bestände vollständig in fünf unterschiedlichen Bibliotheken der Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin aufgegangen und auf engste Weise mit diesen Beständen verflochten.

Die Gesellschaft der Ärzte Bibliothek zählt seit ihrer Gründung 1840 zu den wichtigsten medizinischen Bibliotheken Österreichs. Ihr ältestes Werk ist eine Aldine aus dem Jahr 1497.

Highlight aus der Gesellschaft der Ärzte Bibliothek

Krafft-Ebing, Richard von: Psychopathia sexualis. Eine klinisch-forensische Studie. Stuttgart: Verlag von Ferdinand Enke 1886.

Richard von Krafft-Ebing (*14.08.1840 Mannheim, gest. 22.12.1902 Graz) war ein Psychiater, Neurologe und Rechtsmediziner. 1886 erschien sein bis heute bekanntestes Werk: Psychopathia sexualis (Abbildung 6 [Abb. 6]). Es wurde – auch noch nach seinem Tod – immer wieder erweitert und überarbeitet und bis 1924 insgesamt 17 Mal aufgelegt. Durch seine strenge empirische Methode bildete er damit für die nachkommende Forschergeneration der Sexualwissenschaftler um Magnus Hirschfeld (1868–1935) den Ausgangspunkt für ihre eigenen Forschungen. Er wurde mit diesem Werk zum Begründer der Sexualpathologie. Heute bekannte Begriffe wie Sadismus, Masochismus, Fetischismus gehen auf ihn zurück.

Richard von Krafft-Ebings Arbeiten hatten eine nicht unproblematische Bedeutung für die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem damals kaum erforschten Feld der Homosexualität, auf das er durch die Schriften von Karl Heinrich Ulrichs (1825–1895) gestoßen wurde. Homosexualität galt im 19. Jahrhundert in weiten Kreisen der Gesellschaft als ein Ausdruck einer unmoralischen Geisteshaltung und Lebensweise als Folge von sexueller Übersättigung, Verführung und/oder degenerierter Erbanlagen und wurde aus diesem Grund in weiten Teilen Europas auch strafrechtlich verfolgt (in Österreich bis 1971). Als bekannter Gerichtsarzt stellte Krafft-Ebing Homosexuelle als „erblich belastete Perverse“ dar, die für ihre angeborene Umkehrung des Sexualtriebes nicht verantwortlich sind, folglich auch nicht strafrechtlich zu verfolgen seien. In seiner Psychopathia sexualis definierte er Homosexualität als angeborene neuropsychopathische Störung – also als eine erbliche Nervenkrankheit. Diese Diagnose erlaubte es ihm, sich für eine vollkommene Straffreiheit der Homosexualität auszusprechen, zumal sie auch nicht ansteckend sei. Damit führte Krafft-Ebing die Pathologisierung der Homosexualität in die medizinische Wissenschaft ein, die bis weit in das 20. Jahrhundert hinein weitreichende Folgen zeitigte. Sie bildete die Grundlage für grausamste Zwangsmaßnahmen – bis hin zu Zwangssterilisationen (die bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts durchgeführt wurden) – und führte zur zwangsweisen Psychiatrierung vieler Schwuler und Lesben.

1889 kam Richard von Krafft-Ebing als Nachfolger von Maximilian Leidesdorf (1816–1889) nach Wien an die I. Psychiatrische Klinik. 1892 trat er die Nachfolge von Theodor Meynert (1833–1892) als Professor der II. Psychiatrischen Klinik in Wien an, der er bis zu seiner Pensionierung 1902 vorstand.

Die „Psychopathia sexualis“ aus dem Bestand der Gesellschaft der Ärzte Bibliothek wurde am 22. Juni 2017 im Van Swieten Blog vorgestellt: https://ub.meduniwien.ac.at/blog/?p=27870


Separata Bibliothek

Die Separata Bibliothek (Abbildung 7 [Abb. 7]) besteht aus ca. 50.000 bis 60.000 Separat-Drucken, die zwischen zirka 1860 und 1935 erschienen sind. Sie setzt sich zu etwa 90 Prozent aus Beständen der Gesellschaft der Ärzte in Wien und zu zirka 10 Prozent aus Beständen des ehemaligen Instituts für Geschichte der Medizin zusammen. Die Bibliothek enthält vor allem die Schriften der Vertreter der Zweiten Wiener Medizinischen Schule, wie Carl von Rokitansky (1804–1878), Joseph Skoda (1805–1881), Ferdinand von Hebra (1816–1880), Ignaz Philipp Semmelweis (1818–1865), Theodor Billroth (1829–1894), Hermann Nothnagel (1841–1905), Guido Holzknecht (1872–1931), Adam Politzer (1835–1921), Julius Wagner-Jauregg (1857–1940) und Karl Landsteiner (1868–1943). Sie bietet die einzigartige Möglichkeit direkt nach unselbständig erschienener Literatur aus der Epoche der Zweiten Wiener Medizinischen Schule bis zum Ende der Ersten Republik recherchieren zu können.

Highlight aus der Separata Bibliothek

Politzer, Adam: Zur Anatomie des Gehörgangs. Separatabdruck aus: Archiv für Ohrenheilkunde. Leipzig: Vogel [1874].

Adam Politzer (*01.10.1835 Albertirsa/Ungarn, gest. 10.09.1920 Wien) gründete 1873 gemeinsam mit Josef Gruber (1827–1900) die weltweit erste Universitäts-Ohrenklinik in Wien. Politzer promovierte 1859 an der Medizinischen Fakultät der Universität Wien. 1860 arbeitete er beim Physiologen Carl Ludwig (1816–1895) in der medizinisch-chirurgischen Militärakademie im Josephinum, wo er tierexperimentelle Reizungen des Nervus trigeminus und facialis durchführte sowie den Einfluss der Luftdruckschwankungen im Mittelohr auf die Druckverhältnisse im Labyrinth studierte. Danach unternahm er eine Studienreise nach Würzburg zu Albert von Kölliker (1817–1905) und Heinrich Müller (1820–1864), wo er seine mikroskopischen Kenntnisse verfeinerte bzw. durch Manometeruntersuchungen im äußeren Gehörgang den Druckausgleich im Mittelohr beim Schluckakt nachweisen konnte.

1864 gründete Politzer gemeinsam mit Anton Friedrich von Tröltsch (1829–1890) und Hermann Schwartze (1837–1910) das Archiv für Ohrenheilkunde – es war die erste deutschsprachige medizinische Fachzeitschrift für Otologie (Abbildung 8 [Abb. 8]). 1871 wurde Politzer zum a.o. Universitätsprofessor ernannt. 1873 wurde ihm gemeinsam mit Josef Gruber die Leitung der neugegründeten Universitäts-Ohrenklinik übertragen. 1878 konnte er erstmals die Ursache der Otosklerose (Mittelohrschwerhörigkeit) nachweisen. 1894 wurde er zum ordentlichen Professor ernannt und seit 1897 führte er als Vorstand die Universitäts-Ohrenklinik bis zu seiner Pensionierung 1907.

Adam Politzer wurde am 16. März 2017 im Van Swieten Blog vorgestellt: https://ub.meduniwien.ac.at/blog/?p=27372


Rara Bibliothek

Die Rara Bibliothek (Abbildung 9 [Abb. 9]) besteht aus zirka 10.000 Monografien aus dem 16. bis 19. Jahrhundert. Es handelt sich um Zweitexemplare zur Josephinischen Bibliothek aus den Beständen der Militärärztlichen Akademie, des ehemaligen Instituts für Geschichte der Medizin und Altbeständen aus Kliniken (vor allem I. Augenklinik). Der Bestand der Rara Bibliothek zeichnet sich durch sein hohes Alter und hohen historischen Wert aus. Die zahlreichen Exlibris, Autografen und Widmungen machen viele der Exemplare zu Unikaten.

Highlight der Rara Bibliothek

Paulus, Aegineta: Pavli Aeginetae Medici Opera. Lyon: Apud Guliel. Rouillium sub scuto Veneto 1551.

Paulus Aegineta (auch Paulos von Aigina) war ein byzantinischer Arzt, der im siebenten Jahrhundert nach Christus lebte, und von der (heute griechischen) Insel Ägina/Αίγινα im Saronischen Golf im Westen der Ägäis stammte. Über sein Leben gibt es wenige Hinweise, die aus seinen eigenen Schriften und aus mittelalterlichen arabischen Bio-Bibliographien überliefert sind. Er galt bei den Arabern als „Hebammenspezialist“ (al-qawābilī) und soll zur Zeit der arabischen Eroberung (641 n. Chr.) in Alexandria gewirkt haben.

Sein Hauptwerk – Pragmateia – ist eine sieben Bücher umfassende medizinische Enzyklopädie, die eine umfassende Zusammenfassung des damaligen medizinischen Wissens widergeben will. Diese sieben Bücher behandeln: 1. Hygiene und Diätetik, 2. Fieberarten, 3. Topographisch von Kopf bis Fuß klassifizierte Krankheiten, 4. Hautkrankheiten und Erkrankungen der Eingeweide, 5. Toxikologie, 6. Chirurgie und 7. Medikamentöse Therapeutik (Abbildung 10 [Abb. 10]). Paulus Aegineta konzipierte sein Handbuch als Parallele zu den damals üblichen juristischen Handbüchern. Die Hauptquellen zu seinen Arbeiten stammen aus den Schriften von Oribasius von Pergamon (auch Oreibasios/Ορειβάσιος – 4. Jhdt.). In den Bereichen Gynäkologie und Chirurgie publizierte er überwiegend eigene Erkenntnisse. Sein Werk hatte großen Einfluss auf die Medizin in der arabischen Welt und ist in mehreren arabischen Handschriften überliefert. „The Arabic translation of Paul of Aegina had a great impact on Arabic pharmacological writing.” [8] Spätestens seit dem 9. Jahrhundert gab es arabische Übersetzungen seiner Bücher. In der lateinischen Welt blieb er bis ins 11. Jahrhundert gänzlich unbekannt. Dies änderte sich im 12. Jahrhundert, als auch Teile seiner Werke in Europa rezipiert wurden. 1528 wurde sein Gesamtwerk erstmals in Venedig ins Lateinische übersetzt und herausgegeben – noch im 16. Jahrhundert folgten einige weitere Auflagen seiner Werke.

Das Hauptwerk von Paulus Aegineta wurde am 4. Mai 2017 im Van Swieten Blog vorgestellt: https://ub.meduniwien.ac.at/blog/?p=27627


Historische Dissertations-Bibliothek

Die Historische Dissertations-Bibliothek (Abbildung 11 [Abb. 11]) besteht aus zirka 5.000 historischen medizinischen Dissertationen aus den Jahren 1700 bis 1850. Ihre Bestände stammen unter anderem aus dem Wiener Medizinischen Doctoren Collegium, der Militärärztlichen Akademie und der Gesellschaft der Ärzte in Wien. Die Bibliothek bietet einen einzigartigen Einblick in die universitäre Forschung mit Schwerpunkt auf der Ersten Wiener Medizinischen Schule sowie in die wissenschaftlichen Frühwerke ihrer Vertreter über mehrere Forschergenerationen hinweg.

Highlight aus Historische Dissertations-Bibliothek

Rokitansky, Carl von: Dissertatio inauguralis medica de Varioloide Vaccinica. Qaum Consensu et Auctoritate Excellentissimi Ac Illustrissimi Domini Praesidis Et Directoris, Perillustris Ac Spectabilis Domini Decani, nec non Clarissimorum D.D. Professorum pro Doctoris Medicinae Laurea Rite Obtinenda in antiquissima ac celeberrima Universitate Vindobonensi publicae disquisitioni submittit Carolus Rokitansky, Bohemus Reginaehradecensis ad C.R. Musaeum pathologicum Practicans non stipendiatus. In Theses adnexas disputabitur in Universitatis aedibus die 1. Martii Anni MDCCCXXVIII. Wien: Typis Congregationis Mechitaristicae 1828.

Carl von Rokitansky (*19.02.1804 Königgrätz/(heute Tschechien), gest. 23.07.1878 Wien) gilt neben Joseph Skoda und Ferdinand von Hebra als Begründer der Zweiten Wiener Medizinischen Schule im 19. Jahrhundert. Schon während seines Medizinstudiums interessierte er sich vor allem für das Fach Anatomie. Rokitansky promovierte nach dem Abschluss seiner Dissertation Dissertatio inauguralis medica de Varioloide Vaccinica […] am 6. März 1828 zum Doktor der Medizin (Abbildung 12 [Abb. 12]). 1830 wurde er Assistent an der Pathologisch-Anatomischen Anstalt, wo er zwei Jahre später zum supplierenden ao. Professor und 1834 zum außerordentlichen Professor und Kustos des Pathologisch-Anatomischen Museums ernannt wurde.

Carl von Rokitansky erkannte, dass die vor ihm wenig beachtete Disziplin der pathologischen Anatomie, den Ärzten am Krankenbett neue Diagnose- und Therapiemöglichkeiten eröffnen würde und löste damit eine wissenschaftliche Revolution aus. Gemeinsam mit dem Internisten Joseph Skoda und dem Dermatologen Ferdinand von Hebra leitete er damit einen Paradigmenwechsel von der noch weitgehend naturphilosophisch orientierten Medizin des 18. und frühen 19. Jahrhunderts hin zu einer modernen, naturwissenschaftlich orientierten Medizin ein.

In seiner „Selbstbiographie“, die 1960 – gemeinsam mit seiner Antrittsrede – von Erna Lesky (1911–1986) ediert und mit Erläuterungen versehen wurde, schrieb Rokitansky: „Ich trat mein Amt mit der schon früher gewonnen Überzeugung an, dass die Leichensektionen eine Fundgrube von neuen oder doch vom diagnosticirenden Arzte am Krankenbette völlig unbeachteten Thatsachen sein müßten. Indem als palpable anatomische Veränderungen der Organe und Gewebe augenscheinlich die Ergebnisse von Processen vorlagen, so musste doch eine eingehende Kenntnis dieser Ergebnisse für die Gewinnung einer Einsicht in die Natur jener Processe unerlässlich und zugleich für die klinische Medicin von dem grössten Werthe seyn. Es stellten sich demnach zwey Aufgaben; erstens die Aufgabe, die Thatsachen vom rein anatomischen Standpunkte wissenschaftlich zu ordnen und dabey eine ihre Sonderungen und Zusammenfassungen fachgemäss rechtfertigende allgemeine path. Anatomie zu schaffen; zweytens, die Aufgabe zu zeigen, dass und wie die Thatsachen für die Diagnose am Lebenden zu verwehrten seyen, dass eine fortschrittliche Nosologie die anatomische Basis nicht entbehren könne.“ [9]

Die Dissertation von Carl von Rokitansky aus dem Bestand der Historischen Dissertations Bibliothek wurde am 3. August 2017 im Van Swieten Blog vorgestellt: https://ub.meduniwien.ac.at/blog/?p=28034


Wolf Bibliothek

Die Wolf Bibliothek (Abbildung 13 [Abb. 13]) besteht aus zirka 1.400 Signaturen (zirka 2.000 Bände) und ist nach ihren Dauerleihgebern Max (1892–1990) und Margareta (1902–2002) Wolf benannt. Es handelt sich um eine Spezialbibliothek mit Schwerpunkt Dermatologie, die 1995 ins Haus kam [10], [11]. Die Bestände aus dem 16. bis 20. Jahrhundert enthalten mehrere besonders wertvolle Rara.

Highlight der Wolf Bibliothek

Hebra, Ferdinand von: Atlas der Hautkrankheiten. Hrsg. durch die Kaiserliche Akademie der Wissenschaften. Wien: Braumüller 1856-1876.

Ferdinand von Hebra (*07.09.1816 Brünn, gest. 05.08.1880 Wien) studierte an der Universität Wien Medizin, wo er 1841 promovierte. Er wurde noch im gleichen Jahr Aspirant und ab 1843 Sekundararzt an der Abteilung für Brustkrankheiten unter Joseph von Škoda (1805–1881) im Wiener Allgemeinen Krankenhaus. Škodas Abteilung war das sogenannte Ausschlagzimmer angeschlossen, wo Patienten mit diversen Hautkrankheiten betreut wurden. Nach der damaligen Auffassung galten Hautkrankheiten als eine nach außen gedrungene Form der Fehlmischung der Körpersäfte und dadurch als eine innere Erkrankung. Der sichtbare Ausschlag sollte nicht in den Körper zurückgetrieben werden. Zu dieser Zeit gab es auch noch keine einheitliche Systematik der Hautkrankheiten. Diese sollte erst durch Hebra geschafften werden. Ferdinand von Hebra versuchte als erster die Hautkrankheiten nach den pathologisch-anatomischen Kategorien von Carl von Rokitansky (1804–1878) zu gliedern. Seine Einteilung in 12 Klassen blieb über das 19. Jahrhundert hinaus Grundlage der Dermatologie. Durch seine Arbeit über Krätze konnte er 1844 den Beweis über die grundsätzliche Heilbarkeit von Hautkrankheiten erbringen. Er machte die Haut dadurch zu einem eigenen Organ mit spezifischen Krankheiten. Nach seiner Habilitierung 1844 bekam er 1845 eine eigens für ihn geschaffenen Abteilung für Hautkrankheiten im Allgemeinen Krankenhaus. 1848 wurde er Primarius und 1849 zum außerordentlichen Professor und Vorstand der ersten selbständigen Universitätshautklinik im deutschsprachigen Raum.

Hebra gelang es eine Reihe neuer Krankheitsbilder abzugrenzen. Dazu gehörten unter anderem die Erstbeschreibungen des Lupus erythematodes, des Erythema exsudativum multiforme, des Lichen scrophulosum, des Lichen ruber, des Ekzema marginatum, des Rhinoskleroms und der Impertigo herpetiformis. Zwischen 1856 und 1876 entstand sein bedeutender Atlas der Hautkrankheiten (Abbildung 14 [Abb. 14]). Dieses für den Unterricht für Studenten und Ärzte konzipierte Monumentalwerk nimmt mit seinen 104 Abbildungen unter anderem deswegen einen besonderen Stellewert ein, da die Zeichnungen dazu von den als hervorragende Illustratoren tätigen Ärzten Anton Elfinger (1822–1864) und Carl Heizmann (1836–1896) stammen.

Die Medizinhistorikern Erna Lesky bewertete Hebra wie folgt: „Ferdinand Karl Franz von Hebra schuf um die Mitte des 19. Jahrhunderts in Wien die Dermatologie als neue Spezialdisziplin und machte Wien dadurch zum weltweiten Mittelpunkt dermatologischer Forschung und Lehre.“ [12]

Hebras „Atlas der Hautkrankheiten“ aus dem Bestand der Wolf Bibliothek wurde am 15. Dezember 2016 im Van Swieten Blog vorgestellt: https://ub.meduniwien.ac.at/blog/?p=26903


Reuter Bibliothek

Die Reuter Bibliothek (Abbildung 15 [Abb. 15]) besteht aus 1.241 Signaturen (Monografien und Zeitschriften) und ist nach ihrem Dauerleihgeber dem Stuttgarter Urologen Prof. Hans-J. Reuter (1923–2003) benannt und eng mit dem sich im Haus befindlichen Museum der Internationalen Nitze-Leiter-Forschungsgesellschaft für Endoskopie verbunden. Es handelt sich um eine Spezialbibliothek mit Schwerpunkt Endoskopie, die 1996 ins Haus kam. Die Bestände umfassen das 19. und 20. Jahrhundert.

Highlight der Reuter Bibliothek

Grünfeld, Josef: Die Endoskopie der Harnröhre und Blase. Mit 22 Holzschnitten und 3 Tafeln in Farbendruck. Stuttgart: Verlag von Ferdinand Enke 1881.

Josef Grünfeld (*19.11.1840 Györke/Ungarn (heute: Durkov/Slowakei), gest. 14.05.1910 Wien) schloss 1867 sein Medizinstudium an der Universität Wien mit seiner Promotion zum Dr. med. ab. Aufgrund seiner jüdischen Herkunft und dem an der Medizinischen Fakultät zusehends wachsenden Antisemitismus wurde Grünfeld lange Zeit verwehrt sich zu habilitieren. Erst durch die Intervention Theodor Billroths (1829–1894) konnte er sich 1881 für Dermatologie und Syphilidologie habilitieren. In diesem Jahr publizierte er auch „Die Endoskopie der Harnröhre und Blase“ (Abbildung 16 [Abb. 16]). 1885 wurde er zum Abteilungs-Vorstand an der für ihn geschaffenen II. Dermatologischen Abteilung der Wiener Allgemeinen Poliklinik berufen, der er bis zu seiner Emeritierung 1907 vorstand und wo er auch Patienten mit urologischen Erkrankungen betreute.

Josef Grünfeld zählt zu den Pionieren der Endoskopie und Begründer der modernen Harnspiegelung. Noch vor der Einführung der elektrischen Lichtquelle in die Endoskopie durch Max Nitze (1848–1906) konstruierte er ein Zystoskop, das vorne trichterförmig ausgestaltet war und einen Konduktor zur Erleichterung der Einführung in die Harnblase besaß. Ab 1872 entwickelte Grünfeld, inspiriert von Benjamin Tarnowski (1838–1906), einen eigenen Harnröhrenspiegel als reine Lufturethroskopie mit Lichteinspiegelung und demonstrierte seine Methode erstmals am 13.02.1874 in der k.k. Gesellschaft der Ärzte in Wien. 1876 sah er mit seinem Urethroskop erstmals – allerdings nur bei Frauen – die Uretermündung (Harnleitermündung). Er entfernte 1885 als erster kleine Blasentumore durch einen offenen Tubus unter Sicht.

„Die Endoskopie der Harnröhre und Blase“ von Josef Grünfeld aus dem Bestand der Reuter Bibliothek wurde am 30. März 2017 im Van Swieten Blog vorgestellt: https://ub.meduniwien.ac.at/blog/?p=27489


Obersteiner Bibliothek

Die Obersteiner Bibliothek (Abbildung 17 [Abb. 17]) besteht aus ca. 20.000 Monografien, 20.000 Separat-Drucken, 20.000 deutschsprachigen Dissertationen, 20.000 französischsprachigen Dissertationen, ca. 300 Zeitschriftentitel, ca. 2.000 Separat-Drucken zu „Heil- und Irrenanstalten“ sowie einigen höchst wertvollen Rara. Die Bestände stammen aus dem 16.–20. Jahrhundert. Heinrich Obersteiner (1847–1922) gründete 1882 das Institut für Neurologie an der Universität Wien [13]. Es galt weltweit als erste wissenschaftliche Einrichtung für Hirnforschung und wirkte vorbildgebend auf zahlreiche sich später im Ausland etablierende vergleichbare Forschungsstätten. Die wissenschaftlichen Forschungsschwerpunkte dieses Instituts lagen in der morphologischen Hirnforschung und der normalen, vergleichenden und pathologischen Anatomie sowie der Physiologie des Nervensystems. Die Bibliothek bildet die Genese dieser medizinischen Disziplin zwischen den 1880er und 1940er Jahren ab.

Highlight der Obersteiner Bibliothek

Trew, Christoph Jacob: Herbarivm Blackwellianvm Emendatvm Et Avctvm Id Est Elisabethae Blackwell Cellectio Stirpivm Qvae In Pharmacopoliis Ad Medicvm Vsvm Asservantvr Qvarvm Descriptio Et Vires Ex Anglico Idiomate In Latinvm Conversae Sistvntvr Figvrae Maximam Partem Ad Natvrale Exemplar Emendantvr Floris Frvctvsqve Partivm Repraesentatione Avgentvr Probatis Botanicorvm Nominibvs Illvstratvr. / Vermehrtes und verbessertes Blackwellisches Käuter-Buch das ist Elisabeth Blackwell Sammlung der Gewächse die zum Arzney-Gebrauch in den Apothecken aufbehalten werden deren Beschreibung und Kräfften aus dem Englischen übersetzt angezeiget die Abbildungen grossen Theils nach der Natur verbessert mit Beyfügung der Theile der Blume und Frucht vermehret wie auch mit bewährten Nahmen der Käuter-Lehrer erläutert werden. Nürnberg: Fleischmann 1750–1773.

Dieses Herbarium stammt von Elizabeth Blackwell, geb. Blachrie (*um 1700 Aberdeen, gest. 1758 London) – die Zweigbibliothek besitzt die deutschsprachige Überarbeitung von Christoph Jacob Trew (*26.04.1695 Lauf an der Pegnitz/Bayern, gest. 18.07.1769 Nürnberg). Blackwell wurde schon in ihrer Jugend als Zeichnerin und Malerin ausgebildet. Aufgrund der hohen Schulden ihres Mannes, der in Schuldhaft genommen worden war, stand Elizabeth Blackwell vor dem Nichts und wandte sich mit von ihr angefertigten Pflanzenzeichnungen an Sir Hans Sloane (1660–1753), den Vorstand der Royal Society, der auf seinen Gütern in Chelsea gemeinsam mit der Londoner Apothekergilde einen bedeutenden botanischen Garten, den Chelsea Physic Garden, unterhielt. Der geschäftstüchtigen Elizabeth Blackwell war nicht entgangen, dass auf dem Buchmarkt ein, dem Stand der Wissenschaft entsprechendes und vor allem die Flora der Neuen Welt berücksichtigendes, Herbarium fehlte. Im Chelsea Physic Garden war man von Blackwells Talent begeistert und sich schnell über die gemeinsame Herausgabe eines solchen Werkes einig. Zwischen 1737 und 1739 wurde Blackwells Werk mit 500 Kupfertafeln in zwei Bänden unter dem Titel A Curious Herbal containing five hundred cuts of the most useful plants, which are now used in the practice of physick, to which is added a short description of ye plants and their common uses in physick in London publiziert (Abbildung 18 [Abb. 18]). Sie erwies sich in den Verhandlungen mit den Buchhändlern als sehr geschäftstüchtig und durch den großen wirtschaftlichen Erfolg ihres Herbariums gelang es bald ihren Mann aus der Schuldhaft freizukaufen. Besonders bemerkenswert erscheint es, dass es einer bürgerlichen Frau des 18. Jahrhunderts gelang mit Wissenschaftlern der Royal Society auf Augenhöhe zusammen zu arbeiten und ein naturwissenschaftliches Werk unter ihrem eigenen Namen zu publizieren. Autorinnen ihrer Zeit wurden meist auf lyrische oder belletristische Texte beschränkt und sahen sich dennoch häufig gezwungen unter einem männlichen Pseudonym zu veröffentlichen.

Blackwells „Herbarium“ aus dem Bestand der Obersteiner Bibliothek wurde am 17. November 2016 im Van Swieten Blog vorgestellt: https://ub.meduniwien.ac.at/blog/?p=26779


Anmerkung

Interessenkonflikte

Der Autor erklärt, dass er keine Interessenkonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel hat.


Literatur

1.
Klebel B, Dunkel E, Oswald G. Bibliothek des Instituts für Geschichte der Medizin. In: Lang HW; Österreichische Nationalbibliothek, Hrsg. Handbuch der historischen Buchbestände in Österreich. Band 1: Wien. Teil 1. Hildesheim: Olms-Wiedmann; 1994. S. 209-18.
2.
Albrecht H, Bauer B, Mentzel W. Josephinische Bibliothek und medizinhistorische Bestände der Universitätsbibliothek der Medizinischen Universität Wien. GMS Med Bibl Inf. 2012;12(1-2):Doc11. DOI: 10.3205/mbi000247 External link
3.
Mentzel W. Medizinhistorische Bestände der Universitätsbibliothek der Medizinischen Universität Wien. Virtuelle Bibliotheken an der Zweigbibliothek für Geschichte der Medizin: Eine Spurensuche. GMS Med Bibl Inf. 2017;17(1-2):Doc08. DOI: 10.3205/mbi000387 External link
4.
Leitner H, Bauer B. Bibliothek. In: Institut für Geschichte der Medizin der Universität Wien. Wien: Institut für Geschichte der Medizin; 1999. S. 20.
5.
Sablik K. Emil Zuckerkandl (1849-1910). Arzt, Presse, Medizin. 1977;28.
6.
Ribar F. Die Geschichte der Bibliothek der Gesellschaft der Ärzte in Wien 1837–1987 [bibliothekarische Hausarbeit]. Wien: ÖNB; 1990.
7.
Bauer B, Gschwandtner M. Dauerleihgabe von 26.000 medizinhistorischen Monographien der Gesellschaft der Ärzte in Wien und die Bibliothek des Instituts für Geschichte der Medizin. Biblos. 2004;53(1):162.
8.
Pormann PE. The oriental tradition of Paul of Aegina’s Pragmateia. Leiden, Boston: Brill; 2004.
9.
Lesky E. Carl von Rokitansky. Selbstbiographie und Antrittsrede. Wien: Böhlau; 1960. (Beiträge zur Geschichte der Universität Wien; 3, Veröffentlichungen der Kommission für Geschichte der Erziehung und des Unterrichts; 4. Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse, Sitzungsberichte; 234, Bd.3).
10.
Bauer B. Die „Max & Margareta Wolf Memorial Library”. Biblos. 1997;46(2):430.
11.
Holubar K. Max und Margareta Wolf-Bibliothek für Geschichte der Dermatologie. In: Institut für Geschichte der Medizin der Universität Wien. Wien: Institut für Geschichte der Medizin; 1999. S. 25
12.
Schmidt-Wyklicky G. Ferdinand Karl Franz Ritter von Hebra (1816-1880). In: Löser C, Plewig G, Hrsg. Pantheon der Dermatologie. Heidelberg: Springer Medizin Verlag; 2008. S. 417-32.
13.
Klebel B, Buchinger W. Bibliothek des Neurologischen Instituts an der Universität Wien. In: Lang HW; Österreichische Nationalbibliothek, Hrsg. Handbuch der historischen Buchbestände in Österreich. Band 1: Wien. Teil 1. Hildesheim: Olms-Wiedmann; 1994. S. 222-6.