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38. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

29.09. - 02.10.2022, Leipzig

Die 3 häufigsten syndromalen Erkrankungen im Deutschen Zentralregister für kindliche Hörstörungen (DZH)

Vortrag

  • author presenting/speaker Jonas Lüske - Klinik für Audiologie und Phoniatrie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland
  • corresponding author Anke Hirschfelder - Klinik für Audiologie und Phoniatrie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland
  • author Friederike Wohlfarth - Klinik für Audiologie und Phoniatrie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland
  • author Dirk Mürbe - Klinik für Audiologie und Phoniatrie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland

38. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP). Leipzig, 29.09.-02.10.2022. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2022. DocV21

doi: 10.3205/22dgpp30, urn:nbn:de:0183-22dgpp302

Published: September 26, 2022

© 2022 Lüske et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution 4.0 License. See license information at http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Im DZH werden gezielt syndromale Hörstörungen (SHS) erfasst. Eine gesicherte oder vermutete genetische Ursache (ca. 37% der Fälle) wird im Vergleich zu einer erworbenen Genese (ca. 15% der Fälle) mehr als doppelt so häufig gemeldet. In 47% der Fälle wird als Ursache „ungeklärt“ angegeben. In ca. 10% wird eine SHS gemeldet. Die häufigsten Syndrome sind das Down-Syndrom (DS), die CHARGE-Assoziation (CA) und das Goldenhar-Syndrom (GS).

Material und Methoden: In einer Freitextabfrage der ACCESS®-Datenbank wurden alle Datensätze mit SHS bzgl. Häufigkeit, Art und Grad der Hörstörung sowie Alter bei Diagnose und Therapie ausgewertet.

Ergebnisse: Mit 20% der Fälle (n=169) ist das DS das mit Abstand am häufigsten erfasste Syndrom. Mit jeweils 3% folgen die CA (n=34) und das GS (n=31). DS: Permanente Schallleitungsschwerhörigkeiten (SLSH) werden bei 11%, Schallempfindungsschwerhörigkeiten (SESH) bei 56% und kombinierte Schwerhörigkeiten (KSH) bei 29% der Fälle beschrieben. Es zeigten sich 6,5% geringgradige, 63% mittelgradige und 12% hochgradige Schwerhörigkeiten. In 14% wird ein Restgehör angegeben. Das Diagnosealter beträgt im Median 9 Monate, das Alter bei Therapiebeginn 10 Monate. CA (n=34): SLSH finden sich bei 3 Kindern (9%), SESH bei 22 Kindern (65%) und KSH bei 9 Kindern (26%). 13 Kinder (38%) zeigen mittelgradige und 8 Kinder (24%) hochgradige Schwerhörigkeiten. In 12 Fällen (35%) wird ein Restgehör angegeben. Das Diagnosealter beträgt im Median 6 Monate, das Alter bei Therapiebeginn 10 Monate. GS (n=31): SLSH werden bei 24 Kindern (77%) angegeben, SESH in 2 Fällen (6%) und KSH bei 4 Kindern (13%). Ein Kind zeigt eine geringgradige, 15 Kinder (48%) eine mittelgradige und 9 Kinder (29%) eine hochgradige Schwerhörigkeit. Bei 3 Kindern (10%) besteht ein Restgehör. Das Diagnosealter ist im Median 3 Monate, das Alter bei Therapiebeginn 5 Monate.

Diskussion: Bei den 3 Syndromen finden sich sowohl reine SLSH als auch SESH und KSH. Auffallend ist das im Vergleich späte Diagnosealter bei Kindern mit DS. Es sollte angestrebt werden, insbesondere bei syndromal erkrankten Patient*innen das empfohlene Diagnosealter von max. 3 Monaten zu erreichen.

Fazit: Die Versorgung syndromaler Hörstörungen stellt auch bedingt durch die Begleitsymptomatik und schwankende Schallleitungsanteile eine besondere Herausforderung in der pädaudiologischen Praxis dar und erfordert neben einer fachärztlich übergreifenden Behandlung eine frühzeitige, möglichst frequenzspezifische, obj. Diagnostik sowohl der Luft- als auch der Knochenleitungsschwelle.


Text

Hintergrund

Im DZH werden gezielt syndromale Hörstörungen erfasst. Eine gesicherte oder vermutete genetische Ursache (ca. 37% der Fälle) wird im Vergleich zu einer erworbenen Genese (ca. 15% der Fälle) mehr als doppelt so häufig gemeldet. In 47% der Fälle wird als Ursache „ungeklärt“ angegeben. In ca. 10% werden syndromale Hörstörungen beschrieben. Die häufigsten Syndrome sind hierbei das Down-Syndrom, die CHARGE-Assoziation und das Goldenhar-Syndrom.

Material und Methoden

In einer Freitextabfrage der ACCESS®-Datenbank wurden alle Datensätze von Teilnehmer*innen die zum Zeitpunkt der Auswertung minderjährig waren und bei denen syndromale Hörstörungen angegeben wurden (n=693) bzgl. der Häufigkeit, der Art und dem Grad der Hörstörung (nach [1], Kinder) sowie dem Alter bei Diagnosestellung und Therapiebeginn ausgewertet.

Ergebnisse

Mit 24,4% der Fälle (n=169) ist das Down-Syndrom, das mit Abstand am häufigsten erfasste Syndrom. Mit jeweils 4,9% bzw. 4,5% folgen die CHARGE-Assoziation (n=34) und das Goldenhar-Syndrom (n=31). In mindestens 15,6% (n=108) der Fälle wurde die Verdachtsdiagnose einer syndromalen Hörstörung gestellt und konnte noch nicht spezifiziert werden.

Down-Syndrom: Permanente Schallleitungsschwerhörigkeiten werden bei 11% der Fälle beschrieben, Schallempfindungsschwerhörigkeiten bei 56% und kombinierte Schwerhörigkeiten bei 29%. In 21 Fällen liegt eine einseitige, in 148 Fällen eine beidseitige Hörstörung vor. Es zeigten sich 6,5% geringgradige, 62,7% mittelgradige und 12,4% hochgradige Schwerhörigkeiten. In 14,2% wird ein Restgehör bis hin zur Taubheit angegeben. Das Diagnosealter beträgt im Median 9 Monate, das Alter bei Therapiebeginn 10 Monate.

CHARGE-Assoziation (n=34): Permanente Schallleitungsschwerhörigkeiten finden sich bei 3 Kindern (8,8%), Schallempfindungsschwerhörigkeiten bei 22 Kindern (64,7%) und kombinierte Schwerhörigkeiten bei 9 Kindern (26,5%). In einem Fall besteht eine einseitige, in 33 Fällen eine beidseitige Hörstörung. 13 Kinder (38,2%) zeigen mittelgradige und 8 Kinder (23,5%) hochgradige Schwerhörigkeiten. In 12 Fällen (35,3%) wird ein Restgehör angegeben. Das Diagnosealter beträgt im Median 6 Monate, das Alter bei Therapiebeginn 10 Monate.

Goldenhar-Syndrom (n=31): Permanente Schallleitungsschwerhörigkeiten werden bei 24 Kindern (77,4%) angegeben, Schallempfindungsschwerhörigkeiten bei 2 (6,5%) und kombinierte Schwerhörigkeiten bei 4 Kindern (12,9%). In 23 Fällen besteht eine einseitige, in 8 Fällen eine beidseitige Schwerhörigkeit. Bei einem Kind wurde keine Angabe zur Art der Hörstörung gemacht. Ein Kind zeigt eine geringgradige (3,2%), 15 Kinder (48,4%) eine mittelgradige und 9 Kinder (29%) eine hochgradige Schwerhörigkeit. Bei 3 Kindern (9,7%) besteht ein Restgehör. Das Diagnosealter ist im Median 3 Monate, das Alter bei Therapiebeginn 5 Monate.

Abbildung 1 [Abb. 1]

Diskussion

Bei den 3 Syndromen finden sich sowohl reine Schallleitungsschwerhörigkeiten als auch Schallempfindungs- und kombinierte Schwerhörigkeiten.

Beim Goldenhar-Syndrom wurden in 77,4% der Fälle eine Schallleitungsschwerhörigkeit, allerdings in insgesamt 19,4% auch eine Schallempfindungs- oder kombinierte Schwerhörigkeit angegeben. Dies entspricht den Angaben in der Literatur [2], [3].

Beim Down-Syndrom werden in der Literatur – im Gegensatz zu den Daten aus dem DZH – am häufigsten permanente Schallleitungsstörungen, nachfolgend Schallempfindungsstörung und kombinierte Hörstörungen angegeben (z.B. Nightengale et al. [4]: 38%, 34% bzw. 28%). Zudem fällt in unserer Auswertung das im Vergleich späte Diagnosealter bei Kindern mit Down-Syndrom auf. Ursächlich können die prolongierte Diagnostik bei persistierenden Paukenergüssen und die noch nicht flächendeckend verfügbare Hirnstammaudiometrie über Knochenleitung sein. Zudem können – speziell bei der CHARGE-Assoziation und beim Down-Syndrom – begleitende Erkrankungen anderer Organsysteme die Diagnostik verzögern. Aufgrund der meist höhergradigen Hörstörungen ist beim CHARGE-Syndrom eine frühzeitige Therapieeinleitung besonders entwicklungsrelevant.

Fazit/Schlussfolgerung

Die Versorgung syndromaler Hörstörungen stellt – auch bedingt durch die Begleitsymptomatik und schwankende Schallleitungsanteile – eine besondere Herausforderung in der pädaudiologischen Praxis dar und erfordert neben einer fachärztlich übergreifenden Behandlung eine frühzeitige, möglichst frequenzspezifische, objektive Diagnostik sowohl der Luft- als auch der Knochenleitungsschwelle. Auch bei syndromal erkrankten Kindern muss es das Ziel sein, das empfohlene Diagnosealter von max. 3 Monaten zu erreichen.


Literatur

1.
World Health Organization. Childhood hearing loss: strategies for prevention and care. Geneva: World Health Organization; 2016.
2.
Rahbar R, Robson CD, Mulliken JB, Schwartz L, Dicanzio J, Kenna MA, McGill TJ, Healy GB. Craniofacial, temporal bone, and audiologic abnormalities in the spectrum of hemifacial microsomia. Arch Otolaryngol Head Neck Surg. 2001;127(3):265-71. DOI: 10.1001/archotol.127.3.265 External link
3.
Carvalho GJ, Song CS, Vargervik K, Lalwani AK. Auditory and facial nerve dysfunction in patients with hemifacial microsomia. Arch Otolaryngol Head Neck Surg. 1999;125(2):209-12. DOI: 10.1001/archotol.125.2.209 External link
4.
Nightengale E, Yoon P, Wolter-Warmerdam K, Daniels D, Hickey F. Understanding Hearing and Hearing Loss in Children With Down Syndrome. Am J Audiol. 2017;26(3):301-8. DOI: 10.1044/2017_AJA-17-0010 External link