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18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

09. - 11.10.2019, Berlin

Bedarf an psychologischer Versorgung auf deutschen Intensivstationen – Ergebnisse einer Befragung von Mitgliedern der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin

Meeting Abstract

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  • Teresa Deffner - Universitätsklinikum Jena, Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Jena, Germany; Universitätsklinikum Jena, Kinderklinik, Sektion Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin, Jena, Germany
  • Daniel Schwarzkopf - Universitätsklinikum Jena, Integrierter Forschungs- und Behandlungsbereich Sepsis und Sepsisfolgen – Center for Sepsis Control and Care (CSCC), Jena, Germany
  • Christian Waydhas - Berufsgenossenschaftliches Universitätsklinikum Bergmannsheil, Chirurgische Universitätsklinik und Poliklinik, Bochum, Germany

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 09.-11.10.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc19dkvf391

doi: 10.3205/19dkvf391, urn:nbn:de:0183-19dkvf3914

Published: October 2, 2019

© 2019 Deffner et al.
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Hintergrund: Die psychische Belastung von Patienten und Angehörigen während und nach intensivmedizinischer Behandlung ist hoch. Dies legt die Notwendigkeit einer integrierten psychologischen Versorgung in der Intensivmedizin nahe. Ebenso sind hohe Raten an berufsbedingter psychischer Belastung bei intensivmedizinischem Personal nachgewiesen. Eine psychologische Versorgung auf Intensivstationen ist Teil der Strukturempfehlung zur Ausstattung dieser Stationen [1]. Leitlinien empfehlen des Weiteren das Screening psychischer Symptome sowie eine psychosoziale Versorgungsstruktur nach potentiell traumatisierenden Situationen [2], [3]. Diesem theoretischen Anspruch steht aber eine fehlende finanzielle und konzeptuelle Abbildung der Leistung gegenüber. Eine psychologische Versorgung ist nicht Teil der OPS (aufwendige) intensivmedizinische Komplexbehandlung. Unklar ist daher wie sich aktuell die tatsächliche Versorgungsstruktur auf deutschen Intensivstationen darstellt. Auch fehlen Erkenntnisse darüber wie der Bedarf an psychologischer Versorgung von Intensivmedizinern und Pflegekräften eingeschätzt wird.

Fragestellung: Die Sektion „Qualität und Ökonomie“ der Deutschen interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) hat eine Umfrage unter allen ordentlichen Mitgliedern der DIVI zu folgenden Fragen durchgeführt: Welche psychologischen Versorgungsstrukturen gibt es auf den Intensivstationen? Wie wird die bestehende Struktur hinsichtlich einer möglichen Unterversorgung eingeschätzt? Wie sähe eine optimale Versorgungsstruktur aus Sicht der Befragten aus?

Methode: In einer Onlineumfrage wurden alle ordentlichen Mitglieder der DIVI im Zeitraum von November 2018 bis Februar 2019 zur Teilnahme an der Umfrage eingeladen.

Ergebnisse: Insgesamt 226 Ärzte und Pflegekräfte beteiligten sich an der Umfrage (Rücklaufquote 22%). 40% der Befragten gehörten der Berufsgruppe der Pflegekräfte, 59% der Berufsgruppe Ärzte und 1% einer anderen Berufsgruppe an. Ein psychologisches Versorgungsangebot für Patienten der Intensivstation bestand in 45% der Fälle. Angebote für Angehörige (23%) und für das Team (17%) wurden weit weniger häufig unterbreitet. In allen drei Versorgungsbereichen besteht aus Sicht der befragten Ärzte und Pflegekräfte eine deutliche Unterversorgung. 80% sahen diese in der Betreuung der Patienten, 85% bei der Betreuung der Angehörigen und 79% gaben einen Mangel an psychologischen Angeboten für das intensivmedizinische Team an.

Befragt nach der optimalen Versorgungsstruktur wünschten sich Ärzte und Pflegende aus Kliniken der Grundversorgung, die kleinere Intensivstationen betreiben, mindestens eine konsiliarische psychologische Verfügbarkeit. Befragte aus maximalversorgenden Kliniken mit durchschnittlich größeren Intensivstationen präferieren das Modell des teamintegriert arbeitenden Psychologen, welcher der Intensivstation fest mit einem Stellenanteil zugeordnet ist. Die Möglichkeit den Psychologen auch außerhalb der Regelarbeitszeit zur Unterstützung in psychosozialen Krisensituationen hinzuzurufen, wurde insbesondere in den Freitextnennungen häufig genannt.

Diskussion: Von praktisch auf Intensivstationen tätigen Ärzten und Pflegekräften wird ein hoher bis sehr hoher Bedarf an psychologischer Versorgung der Patienten und Angehörigen sowie an Unterstützung des Personals gesehen. Die Ergebnisse machen eine Versorgungslücke deutlich. Diese wurde in anderen medizinischen Bereichen, in denen schwer kranke Patienten mit einem erhöhten Mortalitätsrisiko behandelt werden wie der Onkologie und Palliativmedizin durch eine finanziell, strukturell und konzeptionell implementierte Versorgung bereits geschlossen. Beginnend mit der OPS 9-502, die seit 2018 in der Neonatologie kodiert werden kann und damit auch psychologische Leistungen in einem intensivmedizinischen Bereich erfasst, ist eine solche Entwicklung auch in anderen Bereichen der Intensivmedizin dringend erforderlich.

Praktische Implikationen: Ein umfassenderes als das aktuell vorgehaltene Angebot an psychologischen Versorgung ist auf der Intensivstation erforderlich. Das Tätigkeitsgebiet sollte dabei praxisorientiert basierend auf den bereits existierenden Erkenntnissen zum psychischen Befinden von Patienten, Angehörigen sowie den psychosozialen Herausforderungen, mit denen das intensivmedizinische Team konfrontiert entwickelt werden.


Literatur

1.
Jorch G, Kluge S, König F, Markewitz A, Notz K, Parvu V, Waydhas C. Empfehlungen zur Struktur und Ausstattung von Intensivstationen. 2010.
2.
AWMF. S3-Leitlinie. Analgesie, Sedierung und Delirmanagement in der Intensivmedizin. AWMF Leitlinien Register 001/012. 2015.
3.
AWMF. S2-Leitlinie. Diagnostik und Behandlung von akuten Folgen psychischer Traumatisierung. AWMF Leitlinien Register 051/027. 2009.