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18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

09. - 11.10.2019, Berlin

Was bringt Telemedizin bei Diabetes, Hypertonie und Lipidstoffwechselstörung? Eine evidenzbasierte Analyse auf Basis von Systematic Reviews und Metaanalysen

Meeting Abstract

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  • Patrick Timpel - TU Dresden, Prävention und Versorgung des Diabetes, Medizinischen Klinik und Poliklinik III, Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus, Dresden, Germany
  • Lorenz Harst - TU Dresden, Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus, Forschungsverbund Public Health Sachsen, Zentrum für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung, Dresden, Germany

18. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 09.-11.10.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. Doc19dkvf028

doi: 10.3205/19dkvf028, urn:nbn:de:0183-19dkvf0289

Published: October 2, 2019

© 2019 Timpel et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution 4.0 License. See license information at http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


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Einleitung: Bis 2030 wird eine steigende Prävalenz (Gerber et al. 2016) und Co-Prävalenz chronischer Erkrankungen, insbesondere Diabetes, Hypertonie und Lipidstoffwechselstörungen, bei älteren Patienten erwartet (Iglay et al. 2016; Song et al. 2016).

Telemedizin soll den Zugang zu Zielgruppen sowie Versorgungsqualität (Eng et al. 2002; Eysenbach et al. 2001) und das Selbstmanagement chronisch Kranker verbessern (Hanlon et al. 2017). Telemedizinsche Versorgung liegt dann vor, wenn (1) unter Beteiligung eines Leistungserbringers, (2) IuK-Technologie in der Versorgung verwendet wird, um (3) eine Distanz zu überbrücken (Sood et al. 2007).

Unklare Wirkmechanismen von Telemedizin und ihrer Komponenten erschweren die Empfehlung von digitalen Anwendungen in Leitlinien (Yasmin et al. 2016). Obwohl ein zunehmendes Forschungsinteresse zu beobachten ist, behindern methodische Unzulänglichkeiten und Schwächen der Studiendesigns in vielen Telemedizinstudien die Ableitung konkreter Aussagen zur Wirksamkeit und somit eine breitere Anwendung (Dinesen et al. 2016). Vor allem Informationen über die relevanten Zielgruppen telemedizinischer Anwendungen fehlen bisher (Greenwood et al. 2017).

Ziel der vorliegenden Arbeit war es, internationale Evidenz zur Wirksamkeit von Telemedizin und ihren Komponenten bei Diabetes, Hypertonie oder Lipidstoffwechselstörung zu identifizieren und zu systematisieren.

Fragestellung:

1.
Welche klinische Wirkung hat Telemedizin in der Versorgung von Patienten mit Diabetes (Typ I und II), Hypertonie und Lipidstoffwechselstörungen?
2.
Welche spezifischen Komponenten und Patientencharakteristika sind mit einer gesteigerten Wirksamkeit (effectiveness) assoziiert?
3.
Welche Forschungsbedarfe bestehen zur Entwicklung und Evaluation von Telemedizinanwendungen?

Methode: Eine systematische Literaturrecherche in Form eines Umbrella Reviews wurde durchgeführt. Neben den untersuchten Datenbanken Pubmed, Embase und Cochrane Library, wurde eine Handsuche in Google Scholar und einschlägigen Journals sowie in den Referenzlisten eingeschlossener Studien durchgeführt.

Recherche und Studieneinschluss folgten definierten Einschlusskriterien entsprechend dem PICOT/S-Schema: Population – Patienten mit Typ 1 oder Typ 2 Diabetes, Hypertonie oder Lipidstoffwechselstörung; Intervention – Überprüfung einer telemedizinischen Anwendung; Control – Regelversorgung; Outcome – Überprüfung eines klinischen Parameters (HbA1c, SBP, DBP, HDL-c, LDL-c, TC, TGC); Time – Follow-up ≥ 3 Monate; und Study Designs – systematische Übersichtsarbeiten oder Metaanalysen zu randomisierten kontrollierten Studien (RCTs).

Zusätzlich wurde eine qualitative Inhaltsanalyse zu Forschungsbedarfen in den eingeschlossenen Studien durchgeführt.

Ergebnisse: Von ursprünglich 3556 Veröffentlichungen waren 46 für die Datenextraktion relevant: 16 systematische Reviews, 7 Metaanalysen, 19 Systematische Reviews und Metaanalysen, 3 Studien, die neben einer Metaanalyse eine Materegression berichten sowie eine Netzwerkmetaanalyse. Eingeschlossene Reviews und Metaanalysen wurden überwiegend nach 2015 publiziert und wiesen eine moderate bis gute Qualität nach Oxman und Guyatt (2011) auf.

Signifikante, klinisch relevante Reduktionen des HbA1c (≤ -0.5%) durch Telemedizin-anwendungen wurden für Patienten mit Diabetes festgestellt. Kürzlich diagnostizierte Patienten und jene mit einem erhöhten Baseline-HbA1c (> 8 % mmol/l) zeigten größere klinische Effekte. Interventionen, die Feedback nutzen, führten zu größeren klinischen Effekten, wobei für die Art des Feedbacks (Telefon, SMS, automatisiert oder manuell) kein Unterschied zu beobachten war. Signifikante – jedoch klinisch nicht relevante – Reduktionen des systolischen (≥ 10 mmHg) und diastolischen (≥ 5 mmHg) Blutdrucks bei Patienten mit Hypertonie wurden erzielt. Der Einsatz von Telemedizin hat keinen signifikanten klinischen Effekt auf die LDL- und HDL-c-Werte bei Diabetikern.

Die qualitative Inhaltsanalyse ergab einen Bedarf an längeren, methodisch robusteren Studien mit längeren Interventionsdauern und heterogenen Populationen.

Diskussion: Die identifizierten Reduktionsraten des HbA1c bei Patienten mit Diabetes sind mit zahlreichen etablierten pharmakologischen Interventionen vergleichbar (Sherifali et al. 2010). Die Ergebnisse zeigen außerdem, dass der Einsatz von Telemedizin-Anwendungen in der personalisierten Medizin von Nutzen sein kann, da er Feedback des Arztes zu selbst gemessenen Vitalparametern (Huang et al. 2015) ebenso ermöglicht wie psychologische Unterstützung etwa durch Familienangehörige (Viana et al. 2016).

Schlussfolgerung: Bevorstehende Leitlinienupdates sollten die identifizierten Wirksamkeitsnachweise nutzen, um evidenzbasierte Empfehlungen für die Nutzung von Telemedizin abzuleiten. Bei zukünftigen Telemedizin-Anwendungen sollte eine begleitende Implementierungsforschung jenseits der reinen Effektivität eingeplant werden.