gms | German Medical Science

63. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (GMDS)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

02. - 06.09.2018, Osnabrück

Automatisierte Extraktion entscheidungsrelevanter Informationen aus Anamneseberichten der pädiatrischen Intensivmedizin

Meeting Abstract

Search Medline for

  • Antje Wulff - Peter L. Reichertz Institut für Medizinische Informatik der Technischen Universität Braunschweig und der Medizinischen Hochschule Hannover, Hannover, Deutschland
  • Marcel Mast - Peter L. Reichertz Institut für Medizinische Informatik der Technischen Universität Braunschweig und der Medizinischen Hochschule Hannover, Hannover, Deutschland
  • Michael Marschollek - Peter L. Reichertz Institut für Medizinische Informatik der Technischen Universität Braunschweig und der Medizinischen Hochschule Hannover, Hannover, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie. 63. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS). Osnabrück, 02.-06.09.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. DocAbstr. 177

doi: 10.3205/18gmds024, urn:nbn:de:0183-18gmds0241

Published: August 27, 2018

© 2018 Wulff et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution 4.0 License. See license information at http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Outline

Text

Einleitung: Die Patientenversorgung auf Notfall- und Intensivstationen zeichnet sich durch einen hohen Arbeits- und Zeitdruck aus [1], [2]. Das Treffen risikobehafteter Entscheidungen über Diagnosen und Therapien mit zeitlich begrenzten Ressourcen bei gleichzeitig hohem Pflege- und Kommunikationsaufwand intensivmedizinischer Patienten gehört zu den herausfordernden Routineaufgaben [3]. Bereits bei Eingang des Patienten muss auf Grundlage der in Freitextform vorliegenden Anamneseberichte schnell eine Einschätzung des Patientenzustands und damit der Dringlichkeit bestimmter Maßnahmen erfolgen [4]. Das Fachpersonal könnte von der Entwicklung entscheidungsunterstützender Systeme, die relevante Anamnese-Informationen extrahieren und strukturiert darstellen, profitieren. Diese Arbeit zielt auf die Konzeption eines Natural Language Processing (NLP) Ansatzes ab, der dafür den Grundstein legt.

Methoden: Als Methode zur semantischen Textanalyse soll der Ansatz des NLP verfolgt werden, um dem Fachpersonal einen verbesserten Zugang zu den Textinformationen der Anamneseberichte zu ermöglichen [5]. Neben der Herausforderung des NLP, die natürliche Sprache mitsamt ihrer Ambiguitäten und fachsprachlichen Ausdrücken korrekt zu verarbeiten [6], müssen auch die Use Case-spezifischen Herausforderungen Berücksichtigung finden: In Kooperation mit der Klinik für Pädiatrische Kardiologie und Pädiatrische Intensivmedizin der Medizinischen Hochschule Hannover [7] werden die relevanten Konzepte aus Anamneseberichten erarbeitet. Auf Basis echter Anamneseberichte kann eine NLP-Pipeline spezifiziert und evaluiert werden. Zur Umsetzung wird auf verschiedene Elemente klassischer NLP-Pipelines (morphologische Analyse, Part-of-speech Tagging, syntaktische Analyse, semantische Analyse und pragmatische Analyse) zurückgegriffen, beispielhaft mit dem Unternehmen econob [8] kooperiert und die Software LingRep [9] eingesetzt. Mit Hilfe 50 ausgewählter Anamneseberichte und eines Vergleichs der händisch extrahierten Informationen und der Ergebnissen der NLP-Pipeline erfolgt eine Evaluation des Prototyps.

Ergebnisse: Durch die Anforderungsanalyse wurden 90 relevante Konzepte identifiziert, die in generische (u.a. Zahlenwerte, Einheiten, Daten), patienten- (u.a. Alter, Geschlecht, Zustand, Grund und Art der Aufnahme) und organspezifische (u.a. Haut, Lunge, Temperatur, Herz) Konzepte unterteilt und als so genannte Marker, Events und reguläre Ausdrücke umgesetzt wurden. Für Marker wie Blutdruck oder Temperatur werden neben numerischen Werten (z.B. 39.7°C) auch diskrete Größen (z.B. „hoch“) erhoben. Dies schließt Konvertierungen von Größenordnungen, Verabreichungsmengen oder Mengenangaben ein. Auch Negationen werden berücksichtigt. In der Evaluation wurden händisch 438 Events identifiziert, von denen 340 auch automatisiert ausgegeben wurden (richtig positiv). Zusammen mit 98 falsch negativen und 23 falsch positiven Ergebnissen ergeben sich eine Precision von 93,66% und ein Recall von 77,63%, wenn die händischen Ergebnisse als Goldstandard angesehen werden.

Diskussion: Die Evaluation zeigte, dass bereits in kurzer Zeit und mit einem kleinen Teil der in der klinischen Realität vorkommenden Konzepte vielversprechende Ergebnisse erzielt werden können und die technische Umsetzung funktioniert. Die Aussagekraft der Evaluation ist aber gering, da diese noch nicht mit medizinischem Fachpersonal durchgeführt wurde. Ein Großteil der aktuellen falsch negativen Events lässt sich auf Rechtschreibproblematiken zurückführen (47 von 98). Mittelfristige Ziele sind (1) die Entwicklung eines entscheidungsunterstützenden Moduls zur Berechnung eines „Aufnahmescores“ auf Basis der extrahierten Informationen und (2) das Mapping der Ergebnisse auf openEHR-Informationsmodelle [10], [11], um die Informationen nicht nur strukturiert, sondern auch semantisch angereichert in einem Interoperabilitätsstandard vorzuhalten, abfragbar und institutionsübergreifend austauschbar zu machen. Für beide Ziele müssen u.a. die Markerkonzepte erweitert, eine intensive Wissensakquisition beim medizinischen Fachpersonal durchgeführt, medizinische Leitlinien gesichtet und gewissenhafte Evaluationsstudien realisiert werden.

Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Die Autoren geben an, dass kein Ethikvotum erforderlich ist.


Literatur

1.
Williams CN, Bratton SL, Hirshberg EL. Computerized decision support in adult and pediatric critical care. World J Crit Care Med. 2013;2(4):21-8.
2.
Lighthall GK, Vazquez-Guillamet C. Understanding Decision Making in Critical Care. Clin Med Res. 2015;13(3-4):156–68.
3.
Marx G, Muhl E, Zacharowski K, Zeuzem S. Die Intensivmedizin. Berlin/Heidelberg: Springer; 2015.
4.
Rosenecker J, Schmidt H. Pädiatrische Anamnese, Untersuchung, Diagnose. Berlin/Heidelberg: Springer; 2008.
5.
Carstensen KU, Ebert C, Jekat SJ, Klabunde R, Langer H. Computerlinguistik und Sprachtechnologie. Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag; 2010.
6.
Friedman C, Elhadad N. Natural Language Processing in Health Care and Biomedicine. In: Shortliffe EH, Cimino JJ, editors. Biomedical Informatics. London: Springer; 2014. p. 255-84.
7.
MH-Hannover.de. Klinik für Pädiatrische Kardiologie und Pädiatrische Intensivmedizin. [cited 2018 Apr 6]. Available from: https://www.mh-hannover.de/33483.html External link
8.
Econob.com. Klagenfurt am Wörthersee: econob – Informationsdienstleistungs GmbH. [cited 2018 Apr 6]. Available from: http://www.econob.com External link
9.
Econob.com. LingRep. [cited 2018 Apr 6]. Available from: http://www.econob.com/de/products-solutions-de/text-analytics-de/ External link
10.
Heard S, Beale T. Welcome to openEHR. [cited 2018 Apr 8]. Available from: http://openehr.org/ External link
11.
Beale T. Archetypes: Constraint-based Domain Models for Future-proof Information Systems. In: Eleventh OOPSLA workshop on behavioral semantics: serving the customer. Seattle/Washington/Boston: Northeastern University; 2002. p. 16-32.