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34. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)
Dreiländertagung D-A-CH

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Bern, 14.09. - 17.09.2017

Nachsorgeprogramm von Kinder mit konnataler CMV-Infektion – eine erste Zwischenauswertung

Vortrag

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 34. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP), Dreiländertagung D-A-CH. Bern, Schweiz, 14.-17.09.2017. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2017. DocV23

doi: 10.3205/17dgpp38, urn:nbn:de:0183-17dgpp387

Published: August 30, 2017

© 2017 Koseki et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Eine konnatale CMV-Infektion kann verschiedene Verläufe von asymptomatisch bis fulminant zeigen. Pädaudiologisch sind die Hör- und Sprachentwicklungsbeeinträchtigungen von größtem Interesse. Nicht nur bereits nach der Geburt festgestellte Hörstörungen, sondern insbesondere auch die late-onset Hörstörungen sollten frühzeitig identifizieren werden.

Das vorgestellte Nachsorgekonzept hat zum Ziel, die Hör- und Sprach- sowie die allgemeine Entwicklung von Kindern mit einer konnatalen CMV-Infektion bis zum 6. Geburtstag zu begleiten, um diese zeitnah zu behandeln und Komplikationen zu vermeiden.

Material und Methoden: In einer begleitenden Beobachtungsstudie werden alle Kinder mit einer nachgewiesenen konnatalen CMV-Infektion (entsprechend der Definition des Robert-Koch-Instituts) untersucht. Die Entscheidung über „symptomatisch“ vs. „asymptomatisch“ erfolgte durch die Neonatologen. Bei Virusausscheidung im Urin erfolgte das Neugeborenen-Hörscreening in unserer Klinik. Unser Nachsorgeprogramm umfasste im ersten Lebensjahr engmaschige und anschließend halbjährliche Untersuchungen des Hörens sowie jährliche Sprach- und Entwicklungsdiagnostik bis zum 6. Geburtstag.

Ergebnisse: Insgesamt wurden bisher 57 Kinder (27 Mädchen und 30 Jungen) in die Datenbank aufgenommen. 16 Kinder wurden neonatologisch mit einer symptomatischen konnatalen CMV -Infektion diagnostiziert, wovon 7 eine Hörstörung zeigten. Unter den asymptomatisch konnatal infizierten Kindern wies nur eines eine Hörstörung auf. Eine late-onset Hörstörung konnten wir in unserem Patientengut bis dato nicht diagnostizieren. Insgesamt wiesen 62,5% (10/16) der symptomatischen Kinder weitere Risikofaktoren für Hörstörungen (wie bspw. Frühgeburtlichkeit, Aminoglykosidtherapie, niedriges Geburtsgewicht etc.) auf.

Diskussion: Nachsorgeprogramme sind wichtig, um mögliche late-onset Hör- und auch Sprachentwicklungsstörungen frühzeitig diagnostizieren und therapieren zu können. Über welchen Zeitraum aber sind welche konkreten Untersuchungen nötig und sinnvoll? Welche Rolle spielen perinatale Co-Risikofaktoren?

Fazit: Mindestens sechs Jahre soll das Nachsorgekonzept seit Beginn der systematischen Erfassung Ende 2014 noch fortgesetzt werden, um obige Fragen beantworten zu können.


Text

Hintergrund

In Deutschland durchlaufen 0,5–4% der Schwangeren eine Primärinfektion mit CMV. Die CMV-bedingten Symptome können beim konnatal infizierten Kind verschiedenste Organsysteme betreffen und unterschiedliche Ausprägungen von asymptomatisch bis fulminant aufweisen. Dabei spielen Infektionszeitpunkt und die Viruslast des Kindes eine große Rolle [1]. Unklar ist jedoch noch immer, welche Befundkonstellationen zu welchen Erkrankungsausprägungen führen [2]. Pädaudiologisch sind die Folgen der Hör- und Sprachentwicklungsbeeinträchtigungen von größtem Interesse. Nicht nur unmittelbar postnatal festgestellte Hörstörungen, sondern insbesondere auch die in der Literatur beschriebenen late-onset Hörstörungen [3] sollten frühzeitig identifiziert werden. Bis dato existieren keine zuverlässigen Prädiktoren für die Entwicklung einer Schwerhörigkeit oder anderer Entwicklungsdefizite bei cCMV [2]. Darüber hinaus bleibt vermutlich ein großer Teil der konnatal infizierten Kinder aufgrund postnatal fehlender Symptome unerkannt; die Folge sind unerkannte oder spät diagnostizierte late-onset Schwerhörigkeiten sowie Sprach- und allgemeinen Entwicklungsdefizite. Aktuell wird die Notwendigkeit eines universellen CMV-Screenings diskutiert, um eine flächendeckende Früherkennung aller Kinder mit cCMV zu gewährleisten [4]. Ziel der hier vorgestellten Arbeit ist es, die klinischen Verläufe der Kinder mit cCMV-Infektion zu untersuchen, um damit u.a. den Nutzen eines universellen cCMV-Screenings zu prüfen.

In der Klinik für Hör-, Stimm- und Sprachheilkunde wurde daher ein interdisziplinäres Nachsorgekonzept entwickelt, das die Kinder mit cCMV erfasst und in den ersten 6. Lebensjahren die Hör-, Sprach- und allgemeine Entwicklung untersucht.

Material und Methoden

In der longitudinalen Beobachtungsstudie werden alle Kinder, die im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) mit einer nachgewiesenen cCMV-Infektion (entsprechend der Definition des Robert-Koch-Instituts) geboren bzw. vorstellig werden, in der Klinik für Hör-, Stimm- und Sprachheilkunde untersucht. Die Eltern werden über die Notwendigkeit und Zeitpunkte der empfohlenen Nachkontrollen informiert und ggf. daran erinnert. Die Entscheidung über „symptomatisch“ vs. „asymptomatisch“ erfolgt durch die Neonatologen zunächst unabhängig vom Hörvermögen. Das hiesige Nachsorgeprogramm umfasst im ersten Lebensjahr engmaschige (erste Lebenstage, 2. Lebenswoche, 1. Lebensmonat (LM), 3. LM, 6. LM), anschließend halbjährliche und ab dem 4. Lebensjahr (LJ) jährliche Untersuchungen des Hörens. Die Sprachentwicklung wird zwischen dem 18.–24. LM zunächst mittels des ELFRA-1 und 2 und im Folgenden mit altersentsprechenden standardisierten Testverfahren von Logopädinnen unserer Klinik untersucht (u.a. SETK2, SET2, TROG-D). Die allgemeine Entwicklung wird bis einschließlich des 2. LJ von den Neuropädiatern durchgeführt. Die weitere jährliche Entwicklungsdiagnostik bis zum 6. Geburtstag erfolgt dann durch Psychologinnen unserer Klinik.

Ergebnisse

Insgesamt wurden seit 2008 bis dato 57 Kinder (27 Mädchen und 30 Jungen) mit einer gesicherten cCMV in das Nachsorgeprogramm aufgenommen. Bei 16 (28%) Kindern wurde neonatologisch eine symptomatische cCMV-Infektion diagnostiziert. Von diesen 16 Kindern konnten wir bei 7 (44%) eine Hörstörung nachweisen. Insgesamt wiesen 10 von 16 (63%) der symptomatischen Kinder weitere Risikofaktoren für eine Hörstörung auf (wie bspw. Frühgeburtlichkeit, Aminoglykosidtherapie, niedriges Geburtsgewicht etc.). Unter den asymptomatischen cCMV-infizierten Kindern (41/57) wies nur eines eine Hörstörung auf (2%), sodass insgesamt 8 von 57 (14%) der konnatal infizierten Kinder unter einer Hörstörung litten. Eine late-onset Hörstörung konnten wir in unserem Patientengut bis dato nicht diagnostizieren. Die prozentuale Verteilung der Hörstörungen auf die Anzahl der symptomatischen cCMV infizierten Kinder passt zu der in der Literatur beschriebenen, allerdings ist die Anzahl der Kinder mit Hörstörungen bei asymptomatischer cCMV vergleichsweise niedrig [5]. Bezüglich der Daten für die Sprachentwicklung ist eine Auswertung aktuell noch zu früh, da die systematische Erfassung erst 2014 begann.

Diskussion/Fazit

Interessanterweise waren 7 von 8 Kindern mit cCMV bedingter Schwerhörigkeit bereits postnatal symptomatisch. 63% der symptomatischen Kinder mit Hörstörung wiesen weitere Risikofaktoren für eine Hörstörung auf. Welchen Einfluss diese Summation von Risikofaktoren hat, ist noch nicht absehbar. Von Fowler wurde 1999 beschrieben, dass late-onset Hörstörungen bis ins 6. LJ hinein auftreten können. Neuere Erkenntnissen werfen die Frage auf, ob diese Hörstörungen ggf. auch auf andere Ursachen zurückzuführen sein könnten. Die Fortsetzung unseres Nachsorgeprogramms über einen Zeitraum von 6 Jahren ist erforderlich, um den Verlauf der Sprachentwicklung sowie das Auftreten von late-onset Hörstörungen untersuchen zu können. Weitere Studien sind notwendig, um die aufgetretenen Fragen beantworten zu können.


Literatur

1.
Buxmann H, Hamprecht K, Meyer-Wittkopf M, Friese K. Primary Human Cytomegalovirus (HCMV) Infection in Pregnancy. Dtsch Arztebl Int. 2017 Jan;114(4):45-52. DOI: 10.3238/arztebl.2017.0045 External link
2.
Rivera LB, Boppana SB, Fowler KB, Britt WJ, Stagno S, Pass RF. Predictors of hearing loss in children with symptomatic congenital cytomegalovirus infection. Pediatrics. 2002 Oct;110(4):762-7.
3.
Fowler KB, Dahle AJ, Boppana SB, Pass RF. Newborn hearing screening: will children with hearing loss caused by congenital cytomegalovirus infection be missed? J Pediatr. 1999 Jul;135(1):60-4.
4.
Williams EJ, Gray J, Luck S, Atkinson C, Embleton ND, Kadambari S, Davis A, Griffiths P, Sharland M, Berrington JE, Clark JE. First estimates of the potential cost and cost saving of protecting childhood hearing from damage caused by congenital CMV infection. Arch Dis Child Fetal Neonatal Ed. 2015 Nov;100(6):F501-6. DOI: 10.1136/archdischild-2014-306756 External link
5.
Fowler KB, Boppana SB. Congenital cytomegalovirus (CMV) infection and hearing deficit. J Clin Virol. 2006 Feb;35(2):226-31. DOI: 10.1016/j.jcv.2005.09.016  External link