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34. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)
Dreiländertagung D-A-CH

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

Bern, 14.09. - 17.09.2017

Evaluation des Follow-Ups in einer Follow-Up-II-Einrichtung nach Einführung des Neugeborenen-Hörscreenings (2009–2011)

Vortrag

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  • author presenting/speaker Almut Goeze - Universitätsklinikum Gießen-Marburg, Marburg, Deutschland
  • author Eugen Zaretsky - Universitätsklinikum Gießen-Marburg, Marburg, Deutschland
  • author Nicola Fink - Universitätsklinikum Gießen-Marburg, Marburg, Deutschland
  • corresponding author Christiane Hey - Universitätsklinikum Gießen-Marburg, Marburg, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 34. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP), Dreiländertagung D-A-CH. Bern, Schweiz, 14.-17.09.2017. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2017. DocV20

doi: 10.3205/17dgpp34, urn:nbn:de:0183-17dgpp344

Published: August 30, 2017

© 2017 Goeze et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution 4.0 License. See license information at http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Hintergrund: Ziel des zum 01.01.2009 eingeführten Neugeborenen-Hörscreenings (NHS) ist die Diagnose einer Hörstörung bis Ende des 3. Lebensmonats und Therapiebeginn bis Ende des 6. Lebensmonats. Nur wenige Studien analysieren die Effektivität einer Follow-Up-Einrichtung.

Die vorliegende Studie bewertet das Follow-Up in der größten Follow-Up-II-Einrichtung von Mittel- und Nordhessen (Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, UKGM Marburg) von Erstvorstellung bis zur Diagnose einer Hörstörung bzw. Einleitung einer Therapie im Zeitraum 2009–2011.

Material und Methoden: Im Zeitraum 2009–2011 wurden 918 Neugeborene untersucht.

Zielparameter pro Jahr waren Anzahl der untersuchten Neugeborenen, Alter (in Median) bei Erstvorstellung bzw. zum Zeitpunkt der Diagnose und des Therapiebeginns sowie Anzahl der notwendigen Besuche bis Diagnosefindung. Zusätzlich erfasst wurden die Lost-to-Follow-up-Raten.

Mittels Kruskal-Wallis H-Tests wurde das Erstvorstellungs- sowie Diagnosealter abhängig vom Erstvorstellungsjahr geprüft, via Mann-Whitney U-Test, ob die Diagnoseart Einfluss auf das Diagnosealter hat.

Ergebnisse: Von 2009 bis 2011 stieg die Anzahl der Neugeborenen von 243 auf 364 um 49,8%.

Im gleichen Zeitraum erhöhte sich das Erstvorstellungs- bzw. das Diagnosealter im Median signifikant von 4,3 auf 5,6 bzw. von 4,9 auf 6,4 Wochen (ps<.001). Die Zahl der erforderlichen Besuche bis Diagnosestellung blieb konstant bei 1,2 bzw. 1,3 pro Säugling. Die Lost-to-Follow-up-Raten sind numerisch von 8,6% auf 5,2% gesunken. Neugeborene ohne Hörstörung (87,9%) wurden signifikant früher diagnostiziert als die Hörgestörten: 5,2 vs. 9,6 Wochen (p<.001). Beide Altersangaben stiegen bis 2011 an. 63,3% der hörgestörten Neugeborenen erhielten ihre Diagnose vor Ende des 3. Lebensmonats, 77,3% den Therapiebeginn vor Ende des 6. Lebensmonats.

Diskussion: Mit steigender Patientenzahl stieg das Erstvorstellungs- und Diagnosealter bei Hörgestörten. Allerdings lag das Diagnosealter einer Hörstörung mit 10,4 unter dem bundesweiten Median (5 Monate). Der prozentuale Anteil der Hörgestörten mit Therapiebeginn vor Ende des 6. Lebensmonats lag im Jahr 2011 mit 70,8% deutlich über dem bundesweiten Schnitt von 49,6%.

Ein Anstieg der nötigen Besuche fand sich dagegen nicht.

Fazit: Im Zeitraum von 2009–2011 fand sich ein zunehmender Bedarf eines Follow-Ups in Mittel- und Nordhessen und damit ein Anstieg des Diagnose- und Versorgungsalters. Nichtsdestotrotz konnten die Forderungen des GbA-Beschlusses vom 19.06.2008 eingehalten werden.


Text

Hintergrund

Ziel des zum 01.01.2009 eingeführten Neugeborenen-Hörscreenings (NHS) ist die Diagnose einer Hörstörung bis Ende des 3. Lebensmonats und Therapiebeginn bis Ende des 6. Lebensmonats [1]. Nur wenige Studien analysieren die Effektivität einer Follow-Up-Einrichtung [2], [3].

Die vorliegende Studie bewertet das Follow-Up in der größten Follow-Up-II-Einrichtung von Mittel- und Nordhessen (Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum Gießen-Marburg, Standort Marburg) von Erstvorstellung bis zur Diagnose einer Hörstörung bzw. Einleitung einer Therapie im Zeitraum 2009–2011.

Material und Methode

Im Zeitraum 2009–2011 wurden in der Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie 918 Neugeborene im Rahmen des Neugeborenen-Hörscreenings (Follow-up II) untersucht.

Zielparameter pro Jahr waren die Anzahl der untersuchten Neugeborenen, das Alter (in Median) bei Erstvorstellung in der Klinik bzw. zum Zeitpunkt der Diagnose und des Therapiebeginns sowie Anzahl der Besuche bis zur Diagnosefindung. Zusätzlich erfasst wurden die Lost-to-Follow-up-Raten und Dauer der Diagnosestellung, berechnet anhand des Zeitabstandes zwischen Erstvorstellung bis endgültiger Diagnose (permanente Hörstörung, passagere Hörstörung und periphere Normakusis). Mittels Kruskal-Wallis H-Tests wurde das Erstvorstellungs- sowie Diagnosealter abhängig vom Erstvorstellungsjahr geprüft. Via Mann-Whitney U-Test wurde untersucht, ob die Diagnoseart Einfluss auf das Diagnosealter hat. Weiterhin wurde geprüft, inwieweit Vorgaben zum Diagnose- und Therapiealter eingehalten wurden.

Ergebnisse

Von den insgesamt 918 Neugeborenen erhielten an Diagnose: 759 (82,3%) periphere Normakusis, 33 (3,6%) passagere Hörstörung, 107 (11,7%) permanente Hörstörung (94 (10,2%) sensorineural; 8 (0,9%) konduktiv; 5 (0,5%) kombiniert; 36 (3,9%) unilateral; 71 (7,7%) bilateral).

Von 2009 bis 2011 stieg die Anzahl der jährlich untersuchten Neugeborenen von 243 auf 364 um 49,8%.

Im gleichen Zeitraum erhöhte sich das Erstvorstellungsalter im Median signifikant von 4,3 auf 5,6 Wochen (χ 2(2)=18,56, p<0,001) und das Diagnosealter im Median von 4,9 auf 6,4 Wochen (χ 2(2)=8,03, p=0,018). Im Median wurden insgesamt über die drei Jahre Neugeborene ohne Hörstörung (87,9%) signifikant früher diagnostiziert als die Hörgestörten: 5,2 vs. 9,6 Wochen (U=23.916,5 Z=–7,32, p<0,001). Beide Altersangaben stiegen bis 2011 an, bei den Gesunden im Median von 4,4 auf 6,0 Wochen, bei Hörgestörten von 9,4 auf 10,4 Wochen.

Das Diagnosealter der Neugeborenen mit passagerer Hörstörung lag im Median über drei Jahre mit 27,0 Wochen deutlich höher als das der Neugeborenen, bei denen direkt eine Normakusis diagnostiziert werden konnte (5,0 Wochen): U=1678,5, Z=–8,43, p<0,001. Dabei stieg das Diagnosealter bei Neugeborenen mit direkt diagnostizierter Normakusis von 2009 bis 2011 von 4,3 auf 6,0 Wochen, bei denen mit passagerer Hörstörung von 23,2 auf 41,4 Wochen.

Die Dauer bis zur Diagnosestellung betrug bei Neugeborenen mit peripherer Normakusis, unabhängig davon, ob solche mit passagerer Hörstörung inkludiert werden, in allen drei Jahren im Median null Tage. Betrachtet man die 33 Neugeborenen mit einer passageren Hörstörung isoliert, so stieg die Dauer von 83,0 auf 171,0 Tage, für solche mit einer permanenten Hörstörung von 22,0 auf 32,0 Tage.

Die Zahl der erforderlichen Besuche bis zur endgültigen Diagnosestellung blieb insgesamt konstant bei 1,2 bzw. 1,3 Besuchen pro Neugeborenes. Neugeborene mit passagerer Hörstörung wiesen die höchste Anzahl an Besuchen auf (2,7), gefolgt von Neugeborenen mit permanenter Hörstörung (1,8) und solchen mit direkt peripherer Normakusis (1,1). Die Anzahl der notwendigen Besuche unterschied sich damit in Abhängigkeit von der Diagnose signifikant (χ 2(2)=376,3, p<0,001). Die Lost-to-Follow-up-Rate sank insgesamt von 8,6% auf 5,2%, allerdings nur numerisch, nicht signifikant. 63,3% der permanent hörgestörten Neugeborenen erhielten ihre Diagnose vor Ende des 3. Lebensmonats, bei 77,3% erfolgte der Therapiebeginn vor Ende des 6. Lebensmonats.

Diskussion

Im Zeitraum von 2009 bis 2011 konnten die Zielvorgaben der Kinderrichtlinien zum Neugeborenen-Hörscreening von der untersuchten Follow-Up-II-Einrichtung weitestgehend erfüllt werden. Trotz steigender Patientenzahl um 49,8% und infolgedessen steigendem Erstvorstellungs- und Diagnosealter erfüllte das Diagnosealter einer Hörstörung mit 10,4 Wochen die gesetzlichen Vorgaben und lag deutlich unter dem bundesweiten Median von vier Monaten [4]. Der prozentuale Anteil der Hörgestörten mit Therapiebeginn vor Ende des 6. Lebensmonats lag im Jahr 2011 mit 70,8% deutlich über dem bundesweiten Schnitt von 49,6% [4]. Ein Anstieg der nötigen Besuche fand sich dagegen nicht.

Fazit

Im Zeitraum von 2009–2011 fand sich ein zunehmender Bedarf eines Follow-Ups in Mittel- und Nordhessen und damit ein Anstieg des Diagnose- und Versorgungsalters. Nichtsdestotrotz konnten die Forderungen des GbA-Beschlusses vom 19.06.2008 eingehalten werden.


Literatur

1.
Bundesministerium für Gesundheit. Bekanntmachung eines Beschlusses des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Änderung der Kinder-Richtlinien: Einführung eines Neugeborenen-Hörscreenings. 19.06.2008. Available from: https://www.g-ba.de/downloads/39-261-681/2008-06-19-Kinder-H%C3%B6rscreening_BAnz.pdf External link
2.
Korres S, Nikolopoulos TP, Peraki EE, Tsiakou M, Karakitsou M, Apostolopoulos N, Economides J, Balatsouras D, Ferekidis E. Outcomes and efficacy of newborn hearing screening: strengths and weaknesses (success or failure?). Laryngoscope. 2008 Jul;118(7):1253-6. DOI: 10.1097/MLG.0b013e31816d726c External link
3.
Ravi R, Gunjawate DR, Yerraguntla K, Lewis LE, Driscoll C, Rajashekhar B. Follow-up in newborn hearing screening – A systematic review. Int J Pediatr Otorhinolaryngol. 2016 Nov;90:29-36. DOI: 10.1016/j.ijporl.2016.08.016  External link
4.
Nennstiel-Ratzel U, Brockow I, Söhl K, Zirngibl A, am Zehnhoff-Dinnesen A, Matulat P, et al. Endbericht zur Evaluation des Neugeborenen-Hörscreenings 2011/2012. Oberschleißheim: Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit; 2017.