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Abschied von E-Learning?

Angela Fogolin, Klaus Hahne, Gert Zinke

Während Ende der 90er Jahre eine regelrechte E-Learning-Hysterie herrschte, ist dieser Begriff heute nahezu zum Unwort geworden. Das eine ist jedoch genauso falsch wie das andere: Aktuelle Arbeitsergebnisse und Veröffentlichungen des BIBB belegen, dass die neuen Medien und Technologien wichtige Potentiale für die Berufsbildung und die Förderung des Wissens- und Technologietransfers bieten.

Sie unterstützen sowohl individuelles, informelles (z.B. durch die Nutzung von Online-Communities) und formales (z.B. durch die Nutzung von netzbasierten Kursangeboten) als auch organisationales Lernen und Wissensmanagement. (Bild 1)

Veröffentlicht: 02.06.2005 URN: urn:nbn:de:0035-0138-0

Bild 1: Handlungsfeld E-Learning01

Die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien für Lehr- und Lernarrangements und damit verbundenen Fragestellungen ist eine zentrale Aufgabe der Berufsbildungsforschung am BIBB02. Dabei ist von besonderem Interesse, wie der Einsatz und die Nutzung PC- bzw. netzgestützter Medien und Technologien (E-Learning) Kompetenzerwerb beim arbeitsplatznahen Lernen unterstützen und zur Prozessorientierung in der Aus- und Weiterbildung beitragen können.03

Netzgestützte Lerninfrastrukturen, Herstellerinformationen, Lernplattformen und Online-Communities sind dafür zentrale Gestaltungselemente:

  • Netzgestützte Lerninfrastrukturen
    Netzgestützte Lerninfrastrukturen sind thematisch und zielgruppenbezogen abgegrenzte, auf einer Lernplattform/einem Server verankerte, zum Teil vorstrukturierte Informationen, Anleitungen, Lerninhalte und deren Verknüpfungen.
  • Netzgestützte Herstellerinformationen
    Hersteller stellen häufig "intelligente Produkte" her, die vom Handwerk oder von Dienstleistern beim Endkunden beraten und verkauft, installiert, in Betrieb genommen, eingesteuert, geregelt und gewartet werden müssen. Ein angemessenes Handling und eine Störfallbehebung dieser Produkte ist nur gewährleistet, wenn bei der Planung und Durchführung entsprechender Kundenaufträge auf elektronische Dokumente (Informationen, Anleitungen Planungssoftware etc.) zurückgegriffen werden kann.04 Hersteller bieten dafür zunehmend netzgestützte Hilfen an, die in Lernarrangements integriert werden können.
  • Lernplattformen sind dabei die Softwaretools, auf welche im Intranet/Internet zugegriffen werden kann und die über eine für die Ablage der Inhalte geeignete Oberfläche, bestimmte Funktionalitäten, wie den Aufruf und die Administration von Lernern, Lerninhalten, Übungsaufgaben sowie über Kommunikationstools verfügen.
  • Online-Communities sind informelle Personengruppen oder -netzwerke, die aufgrund gemeinsamer Interessen und/oder Problemstellungen über einen längeren Zeitraum hinweg überwiegend via Internet oder Intranet miteinander kommunizieren, kooperieren, Wissen und Erfahrungen austauschen, neues Wissen schaffen und dabei voneinander lernen. Von Interesse sind dabei hier insbesondere berufsbezogene oder -relevante Themenschwerpunkte.

Netzgestützte Lerninfrastrukturen ermöglichen sowohl formales als auch informelles E-Learning. Im Rahmen des formalen E-Learnings lernen Gruppen oder Einzelne, oftmals tutoriell betreut, teilweise gekoppelt mit Präsenz- und Selbstlernphasen, in einem zeitlich und inhaltlich festgelegten Rahmen mit dem Ziel des Erwerbs eines Abschlusses oder Zertifikats.

Informelles E-Learning beschreibt dagegen eher spontanes individuelles und selbstgesteuertes Lernen in Verbindung mit einer aktuell anstehenden Problemlösung.05 Solche Fragestellungen, die eine zeitnahe und punktgenaue Beantwortung erfordern, treten gerade im Arbeitsprozess immer wieder auf. Hierbei wird im Kontext der Erfüllung einer Arbeitsaufgabe (auftrags- und arbeitsprozessbezogen) auf Informationen, Anleitungen und Arbeitssoftware von Produktherstellern, also häufig nicht didaktisch aufbereitete Dokumente, zurückgegriffen. Im weiteren können Online-Communities, die sowohl intra- wie interorganisational ausgerichtet sein können und in denen nach dem Prinzip des Gebens und Nehmens Erfahrungswissen kommuniziert wird, wertvolle Hilfestellungen und Anregungen bieten. Dies bestätigt eine Ende 2003 durchgeführte Onlinebefragung zum Nutzungsverhalten von berufsbezogenen Online-Communities. Um die Nutzung dieser in der betrieblichen Bildung bislang eher weitgehend unbeachteten Lerngelegenheit zu unterstützen, wurden daher Checklisten und Gestaltungsempfehlungen für ihren organisationalen Einsatz entwickelt.

Untersuchungen zum tatsächlichen Ausmaß auftragsbezogen informellen E-Learnings in Handwerk und KMU mit netzgestützten Informations-, Instruktions- und Qualifizierungsangeboten der Hersteller zeigten, dass die Nutzung solcher Angebote von der betrieblichen Lernkultur, den Selbstlern- und Mediengewohnheiten der Facharbeiter/innen, ihrer Stellung in der Betriebshierarchie sowie der Branche abhängt. Besonders in der Gebäude-Leittechnik und im Maschinenbau ist das informelle E-Learning mit Herstellersoftware, Servern und Communities schon Teil der modernen Auftrags- und Facharbeit geworden.06

Zusammengefasst heißt das: Herstellerinformationen und Online-Communities stellen eine zusätzliche Möglichkeit für arbeitsprozessbezogenes Lernen dar. Darüber hinaus sind sie ein wichtiges Gestaltungselement innerhalb netzgestützter Lerninfrastrukturen.

Die Verknüpfung von formellen und informellen sowie authentischen und virtuellen Lernarrangements wird im Rahmen eines aktuellen BIBB-Forschungsprojekts untersucht. Dazu wurde im März 2005 der o.g. Workshop "Netz- und communitybasierte Lerninfrastrukturen als Instrumente zur Prozessorientierung der Berufsausbildung in KMU und im Handwerk" durchgeführt. Das Thema wurde aus unterschiedlichen wissenschaftlichen und praxisnahen Perspektiven beleuchtet und Erfahrungen, Konzepte und Visionen zu netzgestützten Lerninfrastrukturen zur Diskussion gestellt. - Eine zentrale Fragestellung war, wie Ausbildungs- und Arbeitsplätze im Elektrohandwerk als autonome Lernplätze genutzt werden und welche Rolle virtuelle Lerninfrastrukturen dabei spielen können. Erneut wurde deutlich, dass virtuelle Lerninfrastrukturen mit Arbeitsprozessen verknüpft und in Arbeitsprozesse integriert werden können. Die Beschreibung dieser möglichen Verknüpfung kann anhand folgender Kriterien erfolgen:

  • örtliche Nähe zwischen Arbeitsplatz und Lerninfrastruktur,
  • inhaltliche Nähe zwischen Lerninhalten und Arbeitsprozessen,
  • zeitliche Nähe zwischen Lernprozess und aus Arbeitsprozessen erwachsenem Lernbedarf.

Netzgestützte, prozessorientierte Lerninfrastrukturen sind für die Auszubildenden einiger Berufe des Elektrohandwerks bereits verfügbar. Zentraler Bezugsprozess ist hier die Abwicklung des Kundenauftrags. Der jeweilige Kundenauftrag wird dabei als vollständige Handlung07 verstanden und didaktisch aufbereitet. Als virtueller Kundenauftrag kann er in einer netzgestützten Lerninfrastruktur gesetzt und mit anderen Softwaretools (z.B. Kommunikations- und Kooperationstools) und weiteren Linktipps, zum Beispiel Herstellerinformationen, die für die Auftragsabwicklung relevant sind, verknüpft werden. Der virtuelle Kundenauftrag ist dabei die didaktische und exemplarische Aufbereitung eines realen Kundenauftrags, der innerhalb des Tätigkeitsfeldes bzw. der Arbeitsaufgabe typisch ist.

In Berufsfeldern wie z.B. der Chemieindustrie, dem Maschinenbau und der Automobilindustrie nehmen die einzelnen Facharbeiter/innen wegen der zunehmenden Komplexität der Produktionsprozesse nur noch einen Ausschnitt der jeweiligen Arbeitsaufgabe wahr. Neben der fachlichen Kompetenz müssen sie aber, um im Kontext des Produktions- und Geschäftsprozesses handeln zu können, auch über die nötige Prozesskompetenz verfügen. Denn "... in modernen Produktionskonzepten kommt es darauf an, dass die Mitarbeiter trotz ihrer unterschiedlichen Berufe fähig sind, sich untereinander zur Prozessoptimierung abzustimmen. Prozesskompetenz lässt sich damit definieren als die Fähigkeit, an dieser Optimierung aktiv mitzuwirken."08

Die stärkere Durchdringung dieser Industrien mit IuK-Technologien bis hin zur digitalen Fabrik ermöglicht hier die Realisierung prozessintegrierter Lerninfrastrukturen.

Die Dokumentation des Workshops stellt dazu erste Konzepte vor und weist Forschungs- und Entwicklungsbedarf aus.

So lässt sich feststellen, dass der Begriff "E-Learning" in den letzten Jahren sicher überstrapaziert wurde, was aber bleibt, ist das Lernpotential, das mit der Nutzung der Informations- und Kommunikationstechniken erschlossen werden kann.

  • Workshopdokumentation - Netz- und communitybasierte Lerninfrastrukuren als Instrumente zur Prozessorientierung der Berufsausbildung in KMU und Handwerk

Ausgewählte Publikationen des BIBB zum Thema

  • Härtel, Michael (Hrsg); Zinke, Gert
    E-Learning Qualität und Nutzerakzeptanz sichern
    Berichte zur beruflichen Bildung; Heft 265
  • Kutscha, Jürgen (Hrsg.)
    E-Learning - Die Anwender bestimmen die Qualität
    Analysen und Konzepte für die Integration von E-Learning in Geschäftsprozesse kleiner und mittelständischer Handelsbetriebe am Beispiel E-Commerce
  • Ehlers, Ulf-Daniel; Gerteis, Wolfgang; Holmer, Torsten; Jung, Helmut W. (Hrsg)
    E-Learning Services in the Crossfire: Pedagogy, Economy and Technology
    L3-Life-Long Learning in future educational networks
  • 1

    Aus: Zinke, Gert: E-Learning am Arbeitsplatz - eine Herausforderung an die Bildungstechnologieforschung. In: BWP 5/2001, S. 41 ff.

  • 2

    Vgl. Berufsbildungsgesetz v. 23.3.2005 (BGBl. I S. 931)

  • 3

    Zinke, Gert: E-Learning am Arbeitsplatz - eine Herausforderung an die Bildungstechnologieforschung. - In: BWP 5/2001, S. 41 ff. Hahne, Klaus: Für ein anwendungsbezogenes Verständnis von E-Learning : E-Learning zwischen formellen Kursangeboten und Unterstützung des Erfahrungslernens in der Arbeit. - In: BWP 32 (2003) Heft 4, S. 35 ff. Bahl, Anke; Koch, Johannes; Meerten, Egon; Zinke, Gert: Was bedeutet prozessorientiert ausbilden. - In BWP 33 (2004) 5, S. 10 ff.

  • 4

    Koch spricht davon, dass intelligente Facharbeit an intelligenten Produkten auf elektronische Dokumente in der Arbeit zurückgreifen muss. Vgl. Workshopdokumentation

  • 5

    Vgl. dazu Zinke, Gert: E-Learning am Arbeitsplatz - Eine Herausforderung an die Bildungstechnologieforschung In BWP 30 (2001) 5, S. 41 ff. Hahne, Klaus: Für ein anwendungsbezogenes Verständnis von E-Learning : E-Learning zwischen formellen Kursangeboten und Unterstützung des Erfahrungslernens in der Arbeit. - In: BWP 32 (2003) Heft 4, S. 35 ff.

  • 6

    Vgl. GFMB/BIBB Forschungsbericht "Untersuchung der Stützung des beruflichen Erfahrungslernens durch Informations-, Instruktions- und Qualifizierungsangebote der Hersteller" Manuskript, April 2005

  • 7

    Vgl Hacker Winfried: Arbeitspsychologie. Psychische Regulation von Arbeitstätigkeiten. - Bern 1986

  • 8

    Bahl, Anke/Koch, Johannes/Meerten, Egon/Zinke, Gert: Was bedeutet prozessbezogen ausbilden? In: BWP 33(2004) 3, S. 10 ff.

Erscheinungsdatum, Hinweis Deutsche Nationalbibliothek

Veröffentlichung im Internet: 02.06.2005

URN: urn:nbn:de:0035-0138-0

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