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Titel: Verlebendigung und Vernichtung : Zur De-figuration von Medialität bei Paul Celan
Sprache: Deutsch
Autor*in: Günther, Andreas
Schlagwörter: Mediendispositiv; Celan; Paul; Poststructuralism; Media Dispositives; German Literature
GND-Schlagwörter: Celan
Paul
Deutsche Literatur
MedienGND
Hermeneutik
Medialität
Dekonstruktion
PoststrukturalismusGND
Erscheinungsdatum: 2013
Tag der mündlichen Prüfung: 2012-07-09
Zusammenfassung: 
In dieser Dissertation wird die These vertreten, dass in zentralen Werken des Dichters Paul Celan (1920-1970) aus den Jahren 1945 bis 1960 Medialität de-figuriert wird. Mit anderen Worten: Die rhetorische Konstituierung von Mediendispositiven, also von diskursiven und nicht-diskursiven Praktiken, die der Vermittlung des Menschen mit sich selbst, mit anderen Menschen und mit der Umwelt dienen, wird in den Texten in Frage gestellt, ja zerstört. Die Nachzeichnung dieser De-figuration stützt sich dabei auf einen der poetologischen Kernsätze des Meridian, wonach das Gedicht der „Ort wäre, wo alle Tropen und Metaphern ad absurdum geführt werden“. Nämlich die Metaphern, Tropen und überhaupt die rhetorischen Figuren der Medialität, die in der Prosopopoiia als dem Verleihen von Gesicht und Stimme ihrer Akteure, Fabrikationen und Funktionen ihre Quelle haben.
Mediendispositive wie Printmedien, Tonträger, der Film, aber auch der politische und der ästhetische Diskurs stehen bei Celan im Verdacht, technische, nämlich auf Codierbarkeit beruhende Verlängerungen einer metaphysisch fundierten, aber irrational gewordenen instrumentellen Vernunft zu sein. Diese ist spätestens seit der Shoah und den anderen großen Verbrechen des 20. Jahrhunderts diskreditiert und wird für die Produktion gesellschaftlicher und individueller Entfremdung verantwortlich gemacht. Die Rhetorik von Medialität – die in eine unbewusste und unreflektierte Rhetorizität überzugehen neigt – zu de-figurieren, heißt, Medialität an ihrer Wurzel anzugreifen, nämlich an ihrer Schöpfung durch sprachliche Prozesse.
Mit der De-figuration von Medialität in Celans Texten werden technische Mediendispositive mit den Mitteln der Poesie als Produkte von Rhetorik entlarvt und in ihre signifikanten Bestandteile zersetzt. Zumindest in der Sprache als dem Hort von Utopie werden technische Mediendispositive oder ihre Elemente zu spezifisch anthropomorphen Mediendispositiven refiguriert. Entstehen sollen Vermittlungszusammenhänge, die die Beteiligten in eine Beziehung zur Endlicheit setzen. Angestrebt wird damit das „Offene“ einer multisensoriellen medialen Kommunikation, die nicht der Übertragung eines intelligiblen Sinns dient, sondern das Mitsprechen der Zeit des Anderen erlauben kann. Dies gilt in einem sehr umfassenden Maße: Das Mitsprechen der Zeit des Anderen soll einerseits einziehen in die Kommunikation unter den Lebenden, nämlich als Öffnung auf das Unbewusste hin, und andererseits in die Kommunikation zwischen den Lebenden und den Ermordeten der Shoah, damit sie im Gedenken fortleben.
Die De-figuration von Medialität in Celans Büchnerpreisrede Der Meridian zielt – wie in der ausführlichen Erörterung des Meridian in Abschnitt III (nach der Einleitung(I), und der Vorstellung des theoretischen Hintergrunds(II) dargelegt wird) – auf Verlebendigung´. Der Meridian versucht nichts weniger als den Menschen selbst wiederzubeleben. Dies gilt besonders für die Überlebenden der nationalsozialistischen Konzentrationslager, deren Erfahrungen vom ‚Raub’ ihres Todes geprägt sind. Sie verharren in einem Zustand des imaginären Todes, der einem zwangsneurotischen Verzicht auf das Leben zu Lebzeiten entspricht. Dieser Zustand hat aber auch ein zeittypisches Pendant in der Auffassung vom Menschen. In dem Maße, in dem im Meridian das instabile Verhältnis zwischen Instrumentalität und Selbstreferentialität der Sprache in der Moderne herausgestellt wird, erscheint der Mensch als technisches Medium, das auf Codierbarkeit des Sprechens und Wahrnehmens beruht. Aus diesem Zustand solldie De-figuration durch sprachliche Verwandlung zur ‚Person’ herausführen.

Demgegenüber zielt die De-figuration in den Gedichten – wie in Abschnitt IV der Arbeit dargelegt wird – auf Vernichtung´. Was ist damit gemeint? Was wird durch die De-figuration ‚vernichtet’? Die Gedichte Todesfuge, Stimmen und Engführung gehen mit teilweiser Ausnahme des mittleren nicht über die Auflösung von Medienrhetorik hinaus. Das letzte von ihnen speist sich selbst sogar in diesen Prozess ein. Dadurch kommt es zu einer Art dialektischem Umschlag in der Relation zur Shoah. Die Etappen sind folgende: Die De-figuration von Medialität in der Todesfuge spiegelt die Shoah als kulturelle Auslöschung wieder. Die De-figuration von Medialität in Stimmen dient dazu, die Ermordeten der Shoah vernehmbar zu machen, aber um den Preis des Verstummens in der alltäglichen Sprache. Die De-figuration von Medialität in der Engführung schließlich ist der Versuch, Bedingungen der Möglichkeit einer Erwiderung auf die Stimmen der Ermordeten zu sch/affen, ein Versuch, der darin mündet, dass diese Erwiderung sich selbst auflösen bzw. vernichten muss, weil keine andere Kontaktaufnahme in Frage zu kommen scheint als die, dass sich der Sprecher, so weit Sprache dies erlaubt, unter die spurenhaften Überreste der Ermordeten mischt.

In this doctoral thesis, it is argued that in central works of poet Paul Celan (1920-1970) from the years 1945 to 1960 mediality is de-figured. In other words, in these texts the rhetorical constitution of media dispositives, so of discursive and non-discursive practices that serve the communication of man with himself, with others and with the environment, is put into question, even destroyed. The tracing of this de-figuration relies on one of the poetological core sets of Der Meridian, after which the poem "would be place where all the tropes and metaphors are reduced to absurdity."

In Celan basically all media dispositives of his era become objects of de-figuration. Media dispositives such as print, audio recordings, the film, but also the political and the aesthetic discourse are suspected to be technical, that is codability-based, extensions of a metaphysically grounded instrumental reason which has become irrational. Since the Shoah and the other great crimes of the 20th Century this form of reason is discredited and blamed for the production of social and individual alienation. To de-figure the rhetoric of mediality - which tends to move into an unconscious and unreflected rhetoricity – means to attack mediality at its root, namely its creation by linguistic processes.

By the de-figuration of mediality in Celan's texts thanks to the resources of poetry, technical media dispositives are to be exposed as products of rhetoric and decomposed into their significant components. At least in the realm of language as the hoard of utopia technical media dispositive or their elements are refigured into specific anthropomorphic media dispositives. To emerge are contexts of mediation that put the participants in a relation to finity. The aim is to establish the “Open” of multi-sensory media communications that are not used for the transmission of intelligible meaning, but can allow the have a say of the time of the other. This is true in very broad dimensions: the have a say of the time of the other should on the one hand move into the communication among the living, namely as an opening on the unconscious, and on the other hand into the communication between the living and the victims of the Shoah, so that they continue to live in memory.

The de-figuration of mediality in Celan´s Büchner Prize speech Der Meridian aims - as specified in the detailed discussion of the Meridian in Section III (after the introduction (I) and the presentation of the theoretical background (II)) - at 'enlivening'. The Meridian attempts nothing less than the people themselves to revive. This is especially true for the survivors of the Nazi concentration camp whose experiences are shaped by robbery 'of death.They remain in a state of imaginary death, which corresponds to a neurotic renunciation of life during lifetime. However, this state also has a time-typical counterpart in the conception of man. To the extent in which the unstable relationship between instrumentality and self-referentiality of language is emphasized in the modern era in Meridian, man appears as a technical medium, based on codability of speech and perception. De-figuration shallad out of this state of mind by linguistic transformation into a 'person' .

In contrast, in the poems de-figuation aims - as set out in section IV of the work - at destruction'. What does that mean? What is destroyed by de-figuration? The poems Death Fugue, Voices and Stretto do not proceed - with the partial exception of the second one - beyond the resolution of media rhetoric. The last of them even feeds itself into this process. This leads to a kind of dialectical reversal in relation to the Shoah. The stages are as follows: The de- figuration of mediality in the Death Fugue reflects the Shoah as cultural extinction. The de-figuration of mediality in Voices serves to make the victims of the Shoah vocal, but at the price of silence in everyday language. The de-figuration of mediality in Stretto finally is the attempt to create conditions for the possibility of a response to the voices of the victims, an attempt which ends in the fact that this response must dissolve or destroy itself, because no other form of contact seems to come into question than that of a speaker, as far as language permits, who is mixed in with the vestigial remains of the murdered.
URL: https://ediss.sub.uni-hamburg.de/handle/ediss/5231
URN: urn:nbn:de:gbv:18-65416
Dokumenttyp: Dissertation
Betreuer*in: Wergin, Ulrich (Prof. Dr.)
Enthalten in den Sammlungen:Elektronische Dissertationen und Habilitationen

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